Sieht für sich einen weiteren Wählerkreis, als ihn die ÖVP ansprechen könnte: Othmar Karas will die Innenpolitik aus dem Wahlkampf heraushalten.

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STANDARD: Der ÖVP ist bei der EU-Wahl am wichtigsten, dass sie gewinnt. Ist das auch Ihnen das Wichtigste?

Karas: Wir wählen die Vertreter der Bürger im Europäischen Parlament. Und in der EU sind die Personen stärker als die Parteien, da geht es um persönliche Erfahrung, Kompetenz, Durchsetzungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit. Es geht bei dieser Europaparlamentswahl darum, welche Rolle Österreich in der EU spielt, und es geht um die Zukunft der Europäischen Union. Es geht nicht um eine innenpolitische Wahl, wie sie diejenigen wollen, die die EU-Wahl zu einer Denkzettelwahl missbrauchen - weil sie kein Programm für Europa haben.

STANDARD: Angenommen, die Europäische Volkspartei hat europaweit großen Erfolg - aber die ÖVP wird nicht Wahlsieger in Österreich. Wäre das zu verschmerzen?

Karas: Ich spekuliere nicht - ich trete an, um zu gewinnen und meinen Einfluss im europäischen Parlament auszubauen.

STANDARD: Innenpolitisch ist es sehr wichtig für die ÖVP, wieder einmal vorne zu liegen, der ÖVP geht es nicht so gut, wie es ihr gerne gehen würde. Was können Sie für die ÖVP beitragen?

Karas: Es geht mir darum, dass ich möglichst viele Bürger motiviere, an der Wahl teilzunehmen und mir die Stimme zu geben. Ich möchte Bürger über den Kreis der ÖVP hinaus ansprechen. Die Meinungsumfragen zeigen auch, dass mir das gelingt.

STANDARD: Politologen sagen, ein Erfolg bei dieser Wahl wird Ihnen zugerechnet, ein Misserfolg jedoch Michael Spindelegger. Haben Sie mit dem Vizekanzler darüber gesprochen?

Karas: Das ist doch genau dieses falsche innenpolitische Muster. Ja: Wir leben in einer Parteiendemokratie, Parteien nominieren Kandidaten, Parteien mobilisieren ihre Mitglieder und Sympathiesanten. Aber: Parteien sind Instrumente der Demokratie, nicht Selbstzweck. Daher bitte ich darum, dass die Wahl nicht zu einer Befindlichkeitswahl gemacht wird. Es geht um Politik und Politiker auf EU-Ebene. Ich bin sehr froh darüber, dass zum ersten Mal in der Geschichte der EU-Parlamentswahlen sich alle politischen Parteienfamilien verpflichtet haben, ihren Kandidaten für den Kommissionspräsidenten vor der Wahl namhaft zu machen.

STANDARD: Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Christdemokraten, hat gemeint, Europa sollte eine Armee aufstellen. Ist das ein Ziel, das Sie verfolgen?

Karas: Es steht außer Streit, dass wir die wirtschaftliche Stärke Europas zu einer politischen Stärke weiterentwickeln müssen, wenn wir eine Rolle in einer globalen Welt spielen wollen. Zu einer politischen Stärke gehört eine viel stärkere gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben diese Koordinierung der Verteidigungspolitiken begonnen. Weil wir in jedem Land der EU gleiche Probleme haben: zu wenig Personal, zu wenig Geld, zu wenig Effizienz und zu wenig Handlungsfähigkeit. Die Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik würde im Minimum 26 Milliarden Euro und bis zu 130 Milliarden Euro ersparen. Ja, ich bin für eine verstärkte Koordinierung. Wir müssen die Friedenspolitik und die Stabilitätspolitik zum Exportartikel machen.

STANDARD: Die Frage war nicht nach Koordinierung, sondern: Sind Sie dafür, eine Europaarmee einzuführen?

Karas: Wir haben das ja schon - in dem Sinn, dass heute Mitglieder der verschiedenen Armeen zum Beispiel auf dem Balkan oder bei internationalen Friedenseinsätzen gemeinsam eingesetzt werden ...

STANDARD: Aber eben als Soldaten verschiedener Armeen. Wäre nicht eine gleiche Uniform, so wie bei den USA, ein wichtiges Symbol?

Karas: Europa ist kein Staat wie die USA. Die Landesverteidigung gehört zu den Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten. Aber es ist ein wesentlicher Bereich, den wir europaweit stärker koordinieren müssen - was als Ziel einer Verteidigungsunion ja schon beschlossen wurde. Aber die EU ist kein Zentralstaat ...

STANDARD: ... und soll auch keiner werden?

Karas: Das Motto der EU heißt "In Vielfalt geeint". Wir müssen all die Dinge gemeinsam machen, wo es um die Rolle des Kontinents in der Welt geht. Stichwort Bankenregulierung, Finanzmarktregulierung und dafür Sorge tragen, dass eine Bankenpleite nicht von den Steuerzahlern zu zahlen ist.

STANDARD: Man hat den Eindruck, die EVP hat Wirtschaft und Sicherheit im Fokus, die Sozialdemokratie soziale Anliegen. Ist das eine Wahl zwischen Wirtschaftsliberalismus und Sozialstaat?

Karas: Überhaupt nicht. Es gibt Kräfte, die diese Extreme postulieren, aber mein Ordnungsmodell ist und bleibt die ökosoziale Marktwirtschaft. Wir haben eine Schieflage zwischen Wirtschaftskompetenzen und sozialen Kompetenzen in der EU, daher bin ich froh, dass der Lissabon-Vertrag die nachhaltige soziale Marktwirtschaft zu ihrem Ziel gemacht hat. Man muss einmal die Sozialdemokraten fragen: Was verstehen sie unter einem sozialen Europa?

STANDARD: Ich frage aber Sie: Will irgendjemand einen europäischen Sozialstaat, wo die Österreicher die rumänischen Pensionen zahlen?

Karas: Das ist natürlich Polemik. Ich will auch ein sozialeres Europa, aber das zu plakatieren alleine ist zu wenig. Ich will keinen zentralistischen Sozialstaat. Denn zentralistischer Sozialstaat, das hieße: Sozialpolitik über Schulden. Und das Unsozialste ist die Schuldenpolitik. Was wir wollen: dass der Binnenmarkt nicht nur ein Binnenmarkt der Unternehmen, sondern auch der Arbeitnehmer wird. Was wir wollen ist, dass es in jedem Land soziale MindestSTANDARDs gibt, damit das Gefälle zwischen den Staaten geringer wird - ohne dass die Sozialstandards bei uns gesenkt werden. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 26.3.2014)