Anton Zeilinger und Pascale Ehrenfreund im Gespräch über neue Dialoge zwischen Wissenschaft und Politik. Stummer Zuhörer: Gottfried Wilhelm Leibniz.

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STANDARD: In den vergangenen acht Tagen haben 35.000 Forscher die Petition "Wissenschaft ist Zukunft" unterschrieben, die für die Jahre 2016 bis 2018 zumindest 1,6 Milliarden Euro für die Wissenschaft fordert. Das ist auch die Mindestforderung des Wissenschaftsministers. Was passiert, wenn es aufgrund des Hypo-Desasters weniger Geld gibt?

Zeilinger: Das würde dazu führen, dass eine ganze Reihe hervorragend qualifizierter, junger Forscher wegen der Budgetkürzungen in den nächsten Jahren keine Arbeitsmöglichkeiten hat. Das wäre nicht zuletzt deshalb besonders schade, weil wir es in den letzten gut zehn Jahren geschafft haben, in verschiedensten Bereichen erstklassige Forscher hervorzubringen und zu berufen, die auch international sichtbar sind. Mich als Staatsbürger ärgert das ganz persönlich natürlich sehr, dass so viel Geld verwendet werden muss, um diese Sünden der Vergangenheit abzuzahlen.

Ehrenfreund: Wir sollten uns aber jetzt schon überlegen, wie wir es künftig vermeiden können, überhaupt in so eine Situation für die Wissenschaft zu kommen. Wir waren bis jetzt zu defensiv. Und das muss sich ändern. Ich habe die letzten Jahre im Ausland verbracht, vor allem in den USA und den Niederlanden. Und dort gibt es einen permanenten Dialog zwischen Politik und Wissenschaft, der mir hier fehlt. Wir können uns nicht immer hinstellen und jammern, dass sich niemand für uns interessiert. Wir müssen zeigen, was wir können und wissen - und zwar nicht nur den Politikern, sondern auch der breiten Öffentlichkeit.

STANDARD: Ist das eher eine Bringschuld der Wissenschaft oder auch eine Holschuld der Politik?

Zeilinger: Es wäre unbestritten von Vorteil, wenn es mehr Wissenschafter gäbe, die in der Politik tätig sind, oder wenn wir gar - so wie die Deutschen - eine Bundeskanzlerin hätten, die früher einmal sogar in den angesehenen Physical Review Letters publizierte. Aber es gibt auch noch andere Methoden, diese Interaktionen zwischen Wissenschaft und Politik zu verbessern. Das war im Übrigen auch eines der Versprechen, mit denen ich im Vorjahr bei der Wahl zum Akademie-Präsidenten angetreten bin.

STANDARD: Was haben Sie an Verbesserungsmaßnahmen vor?

Zeilinger: Das Schlagwort lautet auf Neudeutsch "science for policy", also Wissenschaft für die Politik. Die National Academy of Sciences in den USA wurde genau deshalb gegründet: um den US-Präsidenten wissenschaftlich zu beraten. Etwas Ähnliches machen viele andere Akademien. Genau das wollen wir auch machen: Am 1. April wird es im Parlament ein erstes Treffen mit je etwa 20 Parlamentariern und Mitgliedern der ÖAW geben, um wichtige Themen zu besprechen, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind und wo die ÖAW wissenschaftliche Expertise einbringen kann.

Ehrenfreund: Aus der breit angelegten FWF-Befragung der Scientific Community, die letzte Woche präsentiert wurde, geht eindeutig hervor, dass die österreichischen Wissenschafter dem Fonds das Mandat geben, sie in der Politik zu vertreten. Wir machen das auch aktiv, mitunter gemeinsam mit der ÖAW. Anton Zeilinger und ich sind ja erst im Vorjahr gewählt worden und haben gerade erst angefangen. Wenn man das einige Jahre lang systematisch macht, kann man sicher viel ändern. Solche Dialoge müssen aber auf vielen Ebenen stattfinden: Warum sollen Wissenschafter nicht auch auf Gemeindeebene mehr mit Lokalpolitikern reden? Insoferne ist das auch eine Bringschuld der Wissenschaft.

STANDARD: In Ländern wie den USA oder Großbritannien gibt es wissenschaftliche Berater der Regierung. Fehlt auch so etwas in Österreich?

Zeilinger: Das wird sicher auch bei uns kommen. Es gibt auf europäischer Ebene Anne Glover, die EU-Kommissionsvorsitzenden José Manuel Barroso berät. Und dort will man solche Berater als Ansprechpersonen in allen EU-Ländern. Ob so ein Wissenschaftsberater der Regierung Einfluss nehmen kann, hängt natürlich immer auch stark vom jeweiligen Regierungschef ab. Einer hört der Wissenschaft zu, der andere nicht. So etwas lässt sich schwer durch neue Ämter regeln, sondern durch persönlichen Kontakt.

STANDARD: In der Spitzenpolitik scheint das Interesse für Wissenschaft aber doch endenwollend.

Zeilinger: Mich stört dieses negative Bild, das wir von Politikern haben. Ich habe bei den Regierungsverhandlungen mit vielen Politikern gesprochen, und zwar auf beiden Seiten. Ich habe überall genuines Interesse an Forschung erlebt - und glaube nicht, dass man damit bloß schönes Wetter machen wollte. Das ist eine gute Ausgangsbasis. Wie sich das umsetzen lässt, ist eine langfristige Frage.

STANDARD: Langfristig sollte man wohl auch am Verständnis für die Bedeutung der Grundlagenforschung in Österreich arbeiten. Diesbezüglich belegen wir im europäischen Vergleich laut Eurobarometer-Untersuchungen den letzten Platz. Wie kann man das ändern?

Ehrenfreund: Da braucht es sicher ein Bündel an Maßnahmen, und da müssen auch die Medien mitmachen. Aber auch die Forschungsförderinstitutionen können und müssen etwas tun: In den USA hat man in den Projektanträgen oft schon einen eigenen Budgetposten für "education and public outreach" , also für die öffentliche Vermittlung des Forschungsprojekts. In den USA ist es auch ganz selbstverständlich, als Wissenschafter Vorträge vor der lokalen Community zu halten. Unser Zustand der Unterfinanzierung macht es aber nicht leichter, eigene Budgets dafür zu reservieren.

STANDARD: Haben Wissenschafter heute genügend strukturelle Anreize, sich auch noch um die eigene Öffentlichkeitsarbeit zu kümmern? Forscher jammern immer wieder, dass sie sich neben ihren Forschungen jetzt auch noch um die Vermitt- lung der eigenen Erkenntnisse kümmern sollen.

Zeilinger: An der Akademie wird es jedenfalls Belohnungen für Leute geben, die sich da engagieren. Wir führen an den ÖAW-Instituten eine leistungsorientierte Mittelvergabe ein, und da werden die Kollegen sicher Pluspunkte dafür bekommen, wenn sie in der Öffentlichkeit präsent waren. Und ich würde mir wünschen, dass auch der FWF so etwas einführt. Es macht doch Freude, mit Journalisten zu reden, und für die jungen Leute ist das eine persönliche Anerkennung. Ich verstehe nicht, warum man so viel jammert. Weniger zu jammern erhöht nachweislich die individuelle Lebenserwartung.

STANDARD: Aus den Eurobarometer-Umfragen weiß man auch, dass für die breite Bevölkerung das Fernsehen das entscheidende Medium ist, um über Wissenschaft informiert zu werden. In Österreich gibt es auch da wohl einen Aufholbedarf?

Zeilinger: Das mag stimmen. Ich habe zumindest den Eindruck, dass es vor 20 Jahren im ORF etwas besser war, als es Magazine wie Modern Times gab. Und ich bilde mir auch ein, dass ich mittlerweile öfter von Servus TV oder vom Bayerischen Fernsehen kontaktiert werde.

STANDARD: Bräuchte es in Österreich so etwas wie ein koordiniertes Wissenschaftskommunikationsprogramm?

Ehrenfreund: Das könnte eine Möglichkeit sein. Vor allem müssen wir in Zukunft besser vermitteln, wie wichtig Grundlagenforschung für Österreich ist - insbesondere für das nationale Innovationssystem und damit letztlich für unseren Wohlstand. Grundlagenforschung ist ein entscheidendes Glied in der Innovationskette, und womöglich fehlt es auch an entsprechenden Studien, die das für Österreich dokumentieren. Ich bin mir aber ganz sicher, dass man diese Zusammenhänge ganz eindeutig und mit Zahlen belegen kann.

Zeilinger: Wobei die Zahl der Patente nur das eine ist. Noch wichtiger sind die im Rahmen von Grundlagenforschungsprojekten erstklassig ausgebildeten jungen Leute, die von den Universitäten abgehen und der Wirtschaft zur Verfügung stehen oder selbst ein Start-up aufmachen. Dass es etwa in Österreich einen gut entwickelten Biotechnologiebereich gibt, hat sicher damit zu tun, dass in dem Bereich eine so gute Ausbildung gibt. Und wir sollten auch nicht die Geistes- und Sozialwissenschaften vergessen, die wichtige Beiträge etwa zu Problemen der Migration oder der Demografie leisten oder die - wie das wunderbare Phonogrammarchiv der ÖAW - zur geistigen und kulturellen Identität eines Landes beitragen. (Peter Illetschko, Klaus Taschwer, DER STANDARD, 26.3.2014)