Archäologin Barbara Horejs in ihrem Büro in der Wiener Innenstadt: Göttervater Zeus, genauer gesagt eine Büste, hat ihren Schreibtisch im Blickfeld.

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Neolithische Häuser des 7. Jahrtausends vor Christus.

Foto: ERC Prehistoric Anatolia/ M. Börner

Ein Ensemble an Funden mit Obsidian, polierten Steinschalen, Keramikgefäßen, Werkzeugen und Schmuck.

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Grabungen brachten neolithische Häuser aus dem 7. Jahrtausend vor Christus zutage.

Foto: ERC Prehistoric Anatolia / F. Ostmann

Ausgrabung eines knapp 5000 Jahre alten Depots von Keramikgefäßen in der Siedlung.

Foto: ERC Prehistoric Anatolia/ Ch. Schwall

Wien - Landläufige Vorstellungen vom prähistorischen Menschen beschränken sich auf Wilde in Felljacken, die sich ausschließlich mit Urlauten verständigen können. Dieses Klischeebild dürfte nicht nur von schlechten Filmen, sondern auch von der Vorstellung genährt sein, erst in jüngster Zeit durch große Technologiesprünge zu einem hochentwickelten Menschen geworden zu sein. Umso erstaunlicher sind Funde aus der Vorgeschichte, von denen die Archäologin Barbara Horejs erzählt.

Schon 7000 vor Christus sollen demnach Menschen ausgehend von Siedlungen in der Nähe des antiken Ephesos rund 300 Kilometer weit über das Meer zur ägäischen Insel Milos gefahren sein. Ihr Ziel war es, Obsidian in großen Mengen zu holen. Das Vulkangestein galt als wertvoller Rohstoff, weil daraus Gefäße und Werkzeug hergestellt werden konnten. Dass der Obsidian aus Milos stammt, haben Horejs und ein Forscherteam mittels Neutronenaktivierungsanalyse nachgewiesen. Erstaunlich ist nicht nur die Tatsache, dass sich diese Frühmenschen auf eine meerwöchige Seereise wagten. "Sie müssen auch navigierbare Boote gehabt haben, auf denen man Lebensmittel und Wasser transportieren konnte", lautet die Schlussfolgerung von Horejs.

Hat man damals vielleicht schon Segelboote gebaut, obwohl die Wissenschaft bisher die ersten Boote dieser Art auf 3000 vor Christus datierte? "Warum nicht? Wir trauen vergangenen Kulturen zu wenig zu und sind zu arrogant gegenüber den Leistungen vergangener Kulturen", sagt Horejs. Ihr Team hat tatsächlich Spuren von Flachs gefunden, was auch auf die Herstellung von Segeltüchern deuten könnte, wenngleich es auch als Futtermittel für Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen gebraucht wurde. Die Verwendung ist also nicht eindeutig belegt.

Derart detektivische Kleinarbeiten sind der Alltag der Archäologie: Die 38-jährige Wienerin Barbara Horejs hat diesen Job unter anderem deshalb zu dem ihren gemacht. Seit vergangenem Jahr ist sie die erste Direktorin des gerade erst durch die Zusammenlegung von drei Kommissionen entstandenen Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Diese neue Forschungseinheit für Urgeschichte und frühe Kulturen sei die ideale Ergänzung zum Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) mit dem Schwerpunkt Antike, sagt sie. Am ÖAI hatte Horejs ja 2006 die Arbeit begonnen, die sie bis heute Jahr für Jahr zu Ausgrabungsstätten in Westanatolien führt und vom Europäischen Forschungsrat ERC finanziert wird.

Etwa einen Kilometer vom Zentrum von Ephesos entfernt, am Hügel Çukuriçi Höyük, machte sie damals "einfach einen Grabungsschnitt". Mit dem Auftrag, im Umfeld von Ephesos prähistorische Spuren zu suchen, hätte sie sich auch für einen x-beliebigen anderen Hügel entscheiden können. Fehler war die Wahl keiner: Horejs fand erste Spuren von sesshaften Menschen im Neolithikum. Sie schloss eine Lücke bei der Rekonstruktion des Wandels vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bauen. Diese Entwicklung begann im Orient, weitere Spuren wurden in Ost- und Zentralanatolien, danach aber erst wieder in Griechenland nachgewiesen.

Steinhäuser gefunden

Ursprünglich nahm die Archäologin an, dass der Hügel und die umliegende Region 6000 vor Christus erstmals besiedelt worden war. Heute weiß sie, dass es hier schon 7000 vor Christus eine voll entwickelte neolithische Kultur gab. "Wir haben erstaunlich große Steinhäuser aus dieser Epoche ausgegraben." Horejs will aber auch wissen, was die Menschen hierhergeführt hat. Am Beginn ihrer Forschungen dachte sie noch, dass es ein extremes Klimaereignis war, das die Menschen zur Besiedelung führte. Vor 8200 Jahren ist es zu einer Eisschmelze in der Hudson Bay gekommen. Dadurch dürfte sich der Golfstrom verändert haben, weshalb es zu "großräumigen Klimaereignissen kam", erzählt die Archäologin.

Lange Regenphasen

Mittlerweile hat sie festgestellt, dass nicht der Beginn, sondern das Ende dieser westanatolischen Siedlungen mit der Klimaveränderung in Zusammenhang stand. "Man darf sich das nicht wie in Hollywood-Katastrophenfilmen vorstellen. Es muss zu keinen Überschwemmungen gekommen sein. Es reicht schon, wenn es drei Saisonen lang regnet. Dann ist das Getreide verschimmelt, und man kann damit weder Tier noch Mensch ernähren."

Die sesshaften Bauern siedelten wieder weg, suchten einen besseren Platz, wo sie mit diesen Witterungsbedingungen besser umgehen konnten. War das in unmittelbarer Nähe? Und inwiefern haben die Siedler ihre Wirtschaftsstrategie unter dem Eindruck des Klimawandels geändert? Wie veränderte sich die Gesellschaft?

All diese Fragen stellen Horejs und ihr Team nun einer Statistikergruppe am UCL London, die mit Modellierungen in der Genetik in der Wissenschaftscommunity bekannt wurde. Sie soll mit ihren Programmen, gespeist von den Daten der Archäologen, mögliche weitere Entwicklungsschritte aufzeigen. Horejs zu dieser relativ neuen Form der Kooperation: "Das kann die Basis für weite- re Überlegungen sein. Antworten werden wir dabei nicht finden."

Im Frühjahr wird zum letzten Mal auf dem Çukuriçi Höyük gegraben. Die verbleibenden zwei Jahre des Großprojekts wird sich das Team mit der Auswertung der Funde beschäftigen. "Wir werden Bücher schreiben", sagt Horejs. "Und diese werden die Basis für weitere archäologische Arbeiten sein." Vermutlich wird dabei manifestiert, was Horejs schon heute über die Region, also Ephesos und seine Umgebung, sagt: Nirgendwo sonst dürfte eine antike Metropole über Jahrtausende, beginnend in der Vorgeschichte, eine so zentrale Rolle gespielt haben. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 26.3.2014)