Noch vor drei Monaten hatten EU-Diplomaten gehofft, der Besuch Barack Obamas beim EU-USA-Gipfel in Brüssel könnte vor allem dazu dienen, den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen (TTIP) neuen Schwung zu verleihen bzw. Zerwürfnisse wegen der illegalen NSA-Abhöraktionen gegen EU-Bürger wieder zu entspannen.
Mit der Krise in der Ukraine und wegen der Annexion der Krim durch Russland mussten alle Pläne über den Haufen geworfen werden. Wenn Obama heute, Mittwoch, von der Nuklearkonferenz in Den Haag kommend im EU-Viertel der Hauptstadt eintrifft, steht alles im Zeichen der Konfrontation mit Russland und Präsident Wladimir Putin.
Zehn Österreicher
Nur knapp zwei Stunden werde der US-Präsident mit den EU-Präsidenten Herman Van Rompuy (Rat) und José Manuel Barroso (Kommission) konferieren und die Beziehungen zur Union dann als deutlich gestärkt bezeichnen, verlautete aus US-Kreisen. TTIP werde ein wichtiges Thema sein, im Zentrum stehe aber die Ukraine. Die Europäer drängen auf Umsetzung einer OSZE-Beobachtermission in der Ostukraine. Der Ministerrat in Wien hat beschlossen, dass zehn Soldaten aus Österreich daran teilnehmen.
Im Anschluss an das EU-Gespräch fährt Obama ins nahe Nato-Hauptquartier. Hauptthema mit Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: die aktuelle militärische Lage in der Ukraine, aber auch die Reform des Bündnisses. Rasmussen wird mit dem US-Präsidenten Maßnahmen zur Stärkung der Bündnispartner in Osteuropa erörtern. Die Allianz zeigt sich seit Tagen über einen massiven Aufmarsch russischer Truppen an der Ostgrenze der Ukraine besorgt.
Furcht vor russischem Durchmarsch
Man befürchtet vor allem in Warschau und in den baltischen Staaten, dass Moskau in einem raschen Durchmarsch bis zur Republik Moldau gehen und den Osten und Süden der Ukraine besetzen könnte. Obama soll Putin in einer Rede öffentlich eine klare "rote Linie" ziehen, die enge Beziehung zu EU-Staaten und Nato als absolut prioritär erklären.
Am Montagabend sagten die sieben wichtigsten Industriestaaten - die G-7 aus USA, Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Kanada - das G-8-Treffen mit Russland in Sotschi ab, wie berichtet. Der Kreml bekundete tags darauf dennoch seinen Willen, weiterhin mit der G-7 "auf allen Ebenen" zusammenzuarbeiten.
Tür für Putin bleibt offen
Diplomaten sehen in der Isolation Putins auch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Tür für ihn bleibe offen. So wird es neben einem G-7-Ersatztreffen in Brüssel Anfang Juni die 70-Jahr-Feier zur Landung der Alliierten in der Normandie geben, zu der der russische Präsident eingeladen ist. Er will auch kommen, heißt es.
In einer Pressekonferenz mit dem niederländischen Premier Mark Rutte zum Abschluss des Haager Gipfels am Dienstag bekräftige Obama die Sanktionsdrohung: "Ich ziehe es vor, die Sache diplomatisch zu lösen. "Aber wir sind darauf vorbereitet, einen weiteren Schritt zu unternehmen." Es sei nun an Moskau zu entscheiden, welchen Weg es einschlagen wolle. Mit Blick auf die NSA-Abhöraktionen räumte er ein, die USA müssten Vertrauen zurückgewinnen. (Thomas Mayer aus Brüssel/Julia Raabe aus Den Haag, DER STANDARD, 26.3.2014)