Davide Scabin aus Rivoli im Piemont gilt als ewiges Enfant terrible der italienischen Kreativköche. Sein "Combal.Zero" ist Nr. 42 auf der Liste der "50 Best".
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Foto: Georges Desrues

STANDARD: In Ihrer Heimat Italien sind Sie einer der wenigen, der mit einem avantgardistischen Küchenstil auch international Anerkennung findet. Täuscht der Eindruck, oder tun sich Ihre Kollegen etwas schwerer als andere mit kreativer Küche?

Scabin: Nein, das stimmt schon - zumindest teilweise. Wir Italiener sind eben mehr ein Volk von Trattori, also von Gastwirten, denn von Restaurateuren, wie das die Franzosen sind. Darum tun wir uns mit der sogenannten Hohen Küche wohl etwas schwerer.

STANDARD: Das trifft aber auch auf andere Länder zu, wie beispielsweise die skandinavischen, wo es keine große Tradition der Spitzengastronomie gibt und die Köche in den letzten Jahren dennoch sehr kreativ gearbeitet haben.

Scabin: Eben weil sie keiner Tradition verpflichtet sind, tun sich die Skandinavier leichter mit der Kreation. Bei uns wird man nach wie vor in erster Linie als Koch gesehen, von dem erwartet wird, dass er auch wirklich selbst am Herd steht, seinen Soffritto selbst macht und womöglich sogar die Zwiebeln selbst schneidet. Das kennen die Skandinavier in dieser Form gar nicht. Und die Franzosen wiederum haben eine lange Tradition des Küchenchefs, der eine Brigade leitet, die seine Ideen verwirklicht. Da sind wir Italiener leider noch nicht angelangt.

STANDARD: Aber Italien hat doch eine große Tradition der Avantgarde, etwa in den Bereichen Mode oder Design; in der Küche hingehen scheint eher der Konservatismus zu herrschen.

Scabin: Ich bezweifle, dass in den Bereichen, die Sie nennen, die Avantgarde mehr gepflegt wird als in der Gastronomie. Inzwischen steckt auch das italienische Design in der Krise, in den letzten Jahren wurden die Designer zu Lakaien des Marketings degradiert, die einfach nur ausführen, was ihnen die Marketingexperten vorgeben.

STANDARD: Sie selbst beschäftigen sich bereits seit langem mit Food-Design. Wo sehen Sie Parallelen zwischen Essen und Design?

Scabin: In erster Linie in der Reproduzierbarkeit einer Idee. Im Unterschied zu einer Trattoria, aber auch zur Kunst, geht es in einem Spitzenrestaurant darum, die Idee immer wieder auf die gleiche Art und Weise auszuführen. Da gibt es keinen Platz für Improvisation, wie man sie etwa aus der Trattoria kennt. Darum entstehen meine Gerichte auch immer zuerst im Kopf - und nur in den seltensten Fällen am Markt.

STANDARD: In Frankreich, das ebenfalls einige Zeit in seinen Traditionen festgefahren schien, gibt es inzwischen zahlreiche Bistrots, die einfallsreiche Gerichte zu erschwinglichen Preisen anbieten. Man spricht dort von Bistronomie, so etwas fehlt in Italien völlig. Gibt es hierzulande keinen Platz für unprätenziöse und günstige Lokale mit kreativer Küche?

Scabin: Doch, gibt es. Aber es stimmt, wir müssen daran arbeiten, die Küche der Trattorien zu erneuern, sie zu entstauben und neu zu definieren. Übrigens werde ich genau so eine Trattoria in wenigen Wochen hier im Piemont eröffnen, dann wird man ja sehen.

STANDARD: Das Piemont ist auch Heimat der Slow-Food-Bewegung, die sich eher für einen konservativen Küchenstil stark macht. Wirkt sich das nicht hemmend aus auf die Kreativität?

Scabin: Slow Food ist eine wunderbare Sache. Und die Bewegung ist sehr wichtig, um althergebrachte und regionale Lebensmittel zu bewahren. Aber naturgemäß sind die von Slow Food unterstützten Gasthäuser nicht jene, die den Erfindungsgeist der italienischen Spitzengastronomie im Ausland bekannt machen. Das müssen schon wir Restaurateure tun.

STANDARD: Noch etwas fällt in den italienischen Spitzenlokalen auf, nämlich der äußerst förmliche Service. Finden Sie das noch zeitgemäß?

Scabin: Ja, auch hier haben wir Italiener noch nicht das rechte Gleichgewicht gefunden, das liegt vermutlich irgendwo zwischen französischer Steifheit und skandinavischer Lässigkeit. Allerdings muss ich Ihnen schon sagen, dass, wenn ich wählen müsste, mir in einem Spitzenrestaurant ein zu korrekter Service immer noch lieber ist als ein zu kumpelhafter, wie ich ihn in Skandinavien mehrmals erlebt habe. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 28.3.2014)