Stephan Templ sieht einer Haftstrafe entgegen.

Foto: Heribert Corn

Wien - Wenn das Oberlandesgericht Wien kommende Woche das Urteil nicht deutlich herab senkt und die unbedingte in eine bedingte Haftstrafe umwandelt, dann muss Stephan Templ am 5. April ins Gefängnis. Der in Wien und Prag lebende Journalist wurde im April 2013 wegen schweren Betrugs zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er beim Restitutionsantrag für das ehemalige Sanatorium Fürth in Wien-Josefstadt, den er 2005 im Namen seiner Mutter einbrachte, nicht angegeben hat, dass diese auch eine Schwester hat, die Ansprüche stellen könnte.

Der Fall hat internationales Aufsehen erregt. Templ, Historiker und Architekturkritiker mit jüdischen Wurzeln, ist auch in der deutschsprachigen Presse gut vernetzt. Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Spiegel, Bloomberg und andere haben über den Fall ausführlich berichtet und ihn, wenn freundlich gestimmt, als kafkaeske Farce, weniger freundlich als Justizskandal mit antisemitischen Untertönen dargestellt. Selbst der frühere US-Chefverhandler Stuart Eizenstat hat sich eingeschaltet und für Templ Partei ergriffen.

Freunde von Templ vergleichen ihn sogar mit Alfred Dreyfus, dem jüdischen Offizier in der französischen Armee, dessen manipulierter Hochverratsprozess Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts jahrelang erschüttert und Theodor Herzl den Anstoß für die Gründung des Zionismus gegeben hatte.

Keine Erben angegeben

Die Causa spaltet Juristen und Restitutionsexperten. Templ und seine Verteidiger behaupten, es gibt im Restitutionsgesetz keine Verpflichtung, mögliche andere Erben anzugeben. Allerdings war die Frage auf dem Antragsformular konkret anzugeben, und auch bei persönlichen Gesprächen, so die Mitarbeiterinnen der Schiedsstelle, habe Templ seine Tante, Elisabeth K., verschwiegen. Die beiden Schwestern hatten ein Vierteljahrhundert nicht miteinander gesprochen.

Templ sagt, er sei damals unter massivem Zeitdruck gestanden und habe die entsprechende Seite überblättert. Andere Restitutionsberechtigte hätten ebenfalls keine weiteren Erben angegeben und wären dennoch nicht belangt worden. Und entgegen der gesetzlichen Vorschrift hätte die Behörde die Angaben in seinem Antrag nicht auf Richtigkeit geprüft. In diesem Fall, glaubt Templ, hätten sie leicht selbst von der Schwester erfahren können.

Für den Rechtsprofessor Josef Aicher, dem Vorsitzenden der Schiedsinstanz für Nationalrestitution, war das Gespräch mit den Mitarbeiterinnen der  Schiedsstelle der Auslöser für die Anklage. Ihnen habe Templ gesagt: "In jeder Generation gab es nur ein Kind", betont Aicher im Standard-Gespräch. Templ bestreitet diese Aussage, und sein Anwalt stellte im Verfahren die Erinnerung der beiden Zeuginnen infrage. Doch ein entsprechendes Beweismittel wurde von der Richterin nicht zugelassen.  

Nachdem Templs Mutter ihren Zwölftelanteil zurückerhalten und ihn für 1,1 Millionen Euro verkauft hatte, erfuhr Frau K. davon. Doch ihr Antrag kam zu spät, die Fristen waren bereits abgelaufen. Ihre Anwälte informierten die Staatsanwaltschaft.

Die geschädigte Republik

Die Anklageschrift geht von eine Schadenssumme von 550.000 Euro aus, nennt aber nicht Frau K. als Geschädigte, sondern die Republik – mit dem seltsamen Argument, dass Frau K. auf ihren Anspruch ja zugunsten des Staates hätte verzichten können, wenn sie rechtzeitig davon erfahren hätte. Dass Frau K. selbst erklärt, sie hätte den Restitutionsantrag jedenfalls gestellt, hat an dieser Argumentation nichts geändert.

Beim Prozess schloss sich die Richterin der Anklage vollinhaltlich an und verurteilte Templ wegen Betrugs an der Republik. Seine Anwälte sehen schwere Verfahrensfehler – eine Zeugin, die aussagte, Templ habe die Schwester verschwiegen, war bei der gleichlautenden Aussage einer Kollegin im Gerichtssaal anwesend; ein wichtiger Entlastungszeuge wurde nicht vorgeladen, andere Beweismittel abgewiesen – und reichten Nichtigkeitsbeschwerde beim OGH ein. Doch diese wurde vom Höchstgericht vor zwei Wochen zurückgewiesen. Über das Strafausmaß wird nun vor dem OLG noch einmal verhandelt.

Besonders pikant ist das Verfahren, weil Templ in den Jahren vor seinem eigenen Antrag über die Restitutionspolitik Österreichs intensiv recherchiert und sie dabei auch in Artikeln und einem Buch heftig kritisiert hat. Er und seine Unterstützer sehen daher auch einen Racheakt der Republik gegen einen unbequemen Querdenker. (Eric Frey, derStandard.at, 26.3.2014)