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Die taiwanesische Polizei geht in Taipeh mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vor. Dieser Mann lässt sich davon aber nicht abschrecken.

Foto: EPA/DAVID CHANG

Die Proteste in Taiwan reißen nicht ab, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Regierung sorgt mit einem Handelsabkommen für Unmut, das die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China intensivieren soll. Vereinbart wurde der Pakt bereits im vergangenen Jahr, nur noch die Zustimmung des Parlaments fehlt. Dies wollen aber zahlreiche Demonstranten verhindern, die Jobverlust und einen zunehmenden Einfluss Chinas befürchten. Huang Kwei-bo, Politologe an der Chengchi-Universität in Taipeh, erklärt im derStandard.at-Interview, wieso es zu diesem Konflikt gekommen ist und welche Chancen ein Kompromiss hat.

derStandard.at: Taiwanesische Studenten protestieren seit Wochen gegen einen Handelspakt mit Peking. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China wurde aber bereits in den vergangenen Jahren sukzessive vertieft. Wieso kommt es jetzt zu Demonstrationen?

Huang: Das Grundproblem ist, dass viele Taiwanesen Angst vor China haben und gleichzeitig nicht mitbekommen, welche Fortschritte die taiwanesische Regierung bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Peking gemacht hat. Bis März blieb es ruhig, dann wurde der Bevölkerung schrittweise klar, dass dieser Handelspakt bald fixiert wird. Die Proteste begannen, und die Demonstranten warfen der Regierung vor, rechtswidrig gehandelt zu haben, weil die Öffentlichkeit kaum über die Verhandlungen mit Peking informiert wurde und auch die Beratungen im Parlament sehr kurz ausfielen. Sie forderten die regierende Kuomintang-Partei auf, alle Gesetze zurückzunehmen, die sie in den vergangenen Jahren beschlossen hat.

Die Regierung beging nun den großen Fehler und ging auf die Forderungen der Demonstranten kaum ein. Dies hat zur Besetzung des Parlaments und des Regierungssitzes geführt.

derStandard.at: Die Demonstranten befürchten, dass es zu einem Zuzug von Chinesen kommt und die Taiwanesen aufgrund dieser billigeren, neuen Konkurrenz ihre Jobs verlieren. Die Opposition glaubt, dass Peking auf dem wirtschaftlichen Weg an politischem Einfluss gewinnen will, der Handelspakt daher nur der erste Schritt zu einer chinesischen Sonderverwaltungszone à la Hongkong oder Macau ist. Sind diese Gefahren real?

Huang: Im Abkommen sind zahlreiche Regeln enthalten, die einen Zuzug von Chinesen erschweren sollen. Chinesische Investoren müssen mehrere Hunderttausend US-Dollar investieren, um eine Firma mit chinesischen Mitarbeitern auf Taiwan zu eröffnen. Dann müssen sie einen jährlichen Gewinn von mindestens 300.000 US-Dollar aufweisen, um bleiben zu dürfen. Außerdem müssen die Chinesen, die auf Taiwan arbeiten wollen, zumindest einen Master-Abschluss oder fünf Jahre Arbeitserfahrung in der entsprechenden Branche aufweisen. Billig-Arbeiter können also gar nicht auf Taiwan arbeiten. Sollte es trotz allem zu einem vermehrten Zuzug von Chinesen kommen, so ist im Handelspakt festgeschrieben, dass beide Vertragspartner jederzeit einseitig das Abkommen kündigen können.

Das Problem hier ist, dass diese Regeln in Taiwan kaum bekannt sind. Viele glauben den zahlreichen Gerüchten, dass sich Chinesen ohne Einschränkungen ansiedeln können. Das schürt natürlich die Angst. Da ist die Regierung zum Teil selbst daran schuld, weil sie während der Verhandlungen kaum informiert hat. Nun ist es zu spät.

derStandard.at: Sind die Protestierenden eine überschaubare Gruppe oder eine Massenbewegung? Und steht sie in Kontakt mit der Opposition?

Huang: Nicht nur Studenten, auch ältere Menschen, Angestellte beteiligen sich an den Protesten. Ansonsten kann man momentan nur mutmaßen, wie groß die Gruppe ist und ob es Kontakte zur Opposition gibt. Bei Letzterem deutet vieles darauf hin, eindeutige Beweise gibt es aber nicht.

derStandard.at: Wieso zeigt sich die aktuelle Regierung gesprächsbereiter als das Vorgängerkabinett?

Huang: Die Regierung in Taipeh scheut vor einer engen wirtschaftlichen Kooperation mit China nicht zurück, weil sie die Herausforderungen – zunehmender Druck von China, Globalisierung – offensiv angehen will. Damit stößt man eben bei jenen auf Ablehnung, die nun protestieren und die ich der konservativen Seite Taiwans zurechne.

derStandard.at: Ist ein Kompromiss möglich?

Huang: Nur sehr schwer. Es gab ein erstes Zeichen der Annäherung, als Präsident Ma Ying-jeou verkündete, mit den Demonstranten reden zu wollen, die das Parlament weiterhin besetzt halten. Soweit ich derzeit weiß, lehnen die aber ein Treffen ab, weil sie glauben, dass das Gesprächsangebot nicht ernst gemeint ist.

Abgesehen davon gibt es eine große Hürde auf dem Weg zu einem Kompromiss: Die Demonstranten fordern, dass die Gespräche beim Handelspakt auf null gestellt werden und ganz von vorne beginnen. Dazu wird der Präsident aber nicht bereit sein. Er ist der Überzeugung, dass der Pakt essentiell ist, um Taiwan für die Zukunft gut aufzustellen. Kurzfristig, so sein Gedanke, wird der Pakt zu Protesten führen, langfristig aber zum Wohle des Landes sein.

derStandard.at: Hat Taiwan ökonomische Alternativen zu Peking?

Huang: Es gibt die USA und es gibt in der Region potenzielle Partner. Das Problem ist, dass diese Länder zögern, enger mit Taiwan zu kooperieren, da sie Peking nicht verärgern wollen. Taipeh konnte gerade einmal Handelsabkommen mit Neuseeland und Singapur abschließen. Das war es aber auch schon.

Meiner Meinung nach ist es am besten, ein gutes Verhältnis zu Peking zu haben und parallel dazu die Beziehungen mit anderen Ländern zu intensivieren. Andere Alternativen sehe ich nicht. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 27.3.2014)