15. November 1977, an der japanischen Westküste in der Präfektur Niigata. Das 13-jährige Mädchen Megumi Yokota macht sich nach dem Badmintonspielen auf den Weg nach Hause. Die Eltern Sakie und Shigeru Yokota warten dort auf ihre Tochter. Und sie warten bis heute. Megumi Yokota wurde an besagtem Tag vom nordkoreanischen Geheimdienst entführt. Der wahrscheinliche Zweck: Sie sollte bei der Ausbildung von Spionen helfen, quasi Modell stehen, damit die Agenten bei ihren Auslandseinsätzen als Japaner durchgehen. 1994 soll Megumi Yokota in einer psychiatrischen Anstalt in Nordkorea Selbstmord begangen haben. Doch zweifeln ihre Eltern und auch die japanische Regierung die offizielle Version Pjöngjangs an. Bei einem hochrangigen Treffen von Sonntag bis Montag will Japan endlich Licht ins Dunkel bringen. Nordkorea wird dafür aber vermutlich eine Gegenleistung verlangen.
Von der Präfektur Niigata wurde Megumi Yokata 1977 mit einem Schiff nach Nordkorea verschleppt:
Megumi Yokota ist kein Einzelfall. Bei einem Gipfeltreffen 2002 in Pjöngjang gab der damalige nordkoreanische Diktator Kim Jong-il gegenüber dem japanischen Premier Junichiro Koizumi zu, in den 1970er und 1980er Jahren insgesamt 13 Japaner zu Ausbildungszwecken entführt zu haben. Acht Verschleppte waren demnach bereits verstorben, darunter eben auch Megumi Yokota. Sowohl die eine als auch die andere Angabe wird aber von japanischer Seite angezweifelt.
November 2004: Sakie Yokota zeigt Fotografen ein Bild ihrer Tochter Megumi, das Nordkorea Japan übergeben hat. (Foto: Reuters/Kyodo News)
Die offiziell nur fünf Überlebenden konnten nach diesem Treffen in ihre Heimat zurückkehren. Im Fall Megumi Yokota übergab Pjöngjang 2004 als Beweis ihres Todes die vermeintlichen sterblichen Überreste der Entführten an Japan. In einem wissenschaftlich nicht ganz unumstrittenen DNA-Test stellte sich jedoch heraus, dass die Überreste von einem Mann stammen. Dies bestärkte Yokotas Eltern darin, den Tod ihrer Tochter anzuzweifeln. In der Zwischenzeit nahmen sich Japans Medien in zahlreichen Berichten des Falles an; Filme im In- und Ausland wurden gedreht und Manga-Comics gezeichnet.
Trailer zur US-Dokumentation "Abduction: The Megumi Yokota Story" aus dem Jahr 2006:
Die nordkoreanische Führung gab unterdessen weitere Details zu Megumi Yokotas Leben in Gefangenschaft preis. 1986 soll sie den ebenfalls entführten Südkoreaner Kim Young-nam geheiratet und ein Jahr später eine Tochter zur Welt gebracht haben. Kim Eun-gyong ist mittlerweile 26 Jahre alt. Mitte März traf sie zum ersten Mal ihre Großeltern mütterlicherseits.
Nach jahrelangen Anstrengungen von verschiedenen Seiten - auch eine UNO-Kommission beschäftigte sich mit dem Fall Megumi Yokota - genehmigte Pjöngjang ein Kennenlernen an einem neutralen Ort, und zwar im mongolischen Ulan Bator. Das japanische Außenministerium gab sich bei Details zu diesem Treffen zurückhaltend, Medienberichten zufolge sollen aber auch Kim Eun-gyongs zehn Monate alte Tochter und Megumi Yokotas südkoreanischer Ehemann dabei gewesen sein. Fragen zu Megumi Yokotas Schicksal verkniffen sich die Eltern, um ihre Enkelin nicht zu gefährden.
Juli 2006: Megumi Yokotas Ehemann Kim Young-nam und Tochter Kim Eun-gyong bei einer Pressekonferenz in Pjöngjang. (Foto: AP/Kyodo News/Takanori Sekine)
Bei hochrangigen Gesprächen am Sonntag und Montag in Peking wird nun ein weiterer Versuch gestartet, mehr über die ganze Angelegenheit zu erfahren. Tokio zweifelt nicht nur den Tod der acht Entführten an, sondern vermutet auch, dass Nordkorea viel mehr - eventuell Hunderte - Japaner verschleppt hat.
Offiziell geht es bei den bevorstehenden Gesprächen zwischen Tokio und Pjöngjang - den ersten seit Dezember 2012 - um das nordkoreanische Atomprogramm. Japan hat aber bereits angekündigt, offene Fragen zu den Entführten auszusprechen. Offiziell ist das Thema für Nordkorea aber seit der Erklärung Kim Jong-ils und einer Entschuldigung im Jahr 2002 erledigt.
17. März 2014: Shigeru und Sakie Yokota appellieren an die japanische Regierung, einen Kompromiss mit Nordkorea zu schließen. (Reuters/Yuya Shino)
Allerdings wird vermutet, dass Pjöngjang weitere Informationen im Tausch gegen Wirtschaftshilfe oder die Aufhebung von Sanktionen preisgeben könnte. Darauf deuten auch die jüngsten Aussagen von So Se-pyjong hin, dem nordkoreanischen Botschafter bei der UNO in Genf. Dieser sagte am Dienstag, dass er bei den Gesprächen auf "positive Resultate" für beide Länder hoffe. Zugleich forderte er Japan auf, eine Entschädigung für die Millionen Koreaner zu zahlen, die während der japanischen Besatzungszeit von 1910 bis 1945 entführt wurden. Auch für die "Trostfrauen", die während des Zweiten Weltkriegs vom japanischen Militär sexuell missbraucht wurden, forderte So Buße. Beobachter glauben, dass sich Pjöngjang damit in eine gute Verhandlungsposition bringen will.
Japans Spielraum ist in dieser Hinsicht aber begrenzt. Nicht alles, was Pjöngjang fordert, kann Tokio auch tatsächlich anbieten. Allen voran die USA werden ein Auge darauf werfen, dass die internationale Sanktionspolitik gegen Nordkorea nicht aufgeweicht wird, um ein Ende des Pjöngjanger Atomprogramms zu erreichen. Japans Premier Shinzo Abe hat bereits betont, dass er in Sachen Nordkorea nichts unternehmen werde, ohne vorher seine Verbündeten zu fragen.
Ein weiteres Bild von Megumi Yokota, das Nordkorea Japan überreicht hat. (Foto: AP)
Ob es einen Deal zwischen Pjöngjang und Tokio gibt, wird entscheidend für Sakie und Shigeru Yokota sein. Sie wollen nach 37 Jahren endlich erfahren, was mit ihrer Tochter tatsächlich passiert ist. "Wir haben das Gefühl, dass wir nicht mehr lange Zeit haben", sagte Shigeru Yokota vor wenigen Tagen in einem Appell an die japanische Regierung, einen Kompromiss mit Nordkorea zu schließen. Er ist 81 Jahre alt, seine Gattin 78. Die Eltern der anderen Entführten sind großteils schon verstorben. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 28.3.2014)