Chrono-Tabletten sollen die Einnahme erleichtern und genau zum richtigen Zeitpunkt wirken.

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Herzinfarkte und Schlaganfälle treten besonders häufig in den Morgenstunden auf. Neue Anwendungsformen von Arzneimitteln mit besonders gutem Timing der Wirkstofffreisetzung könnten zu einer "Pille" zur Verhütung solcher akut lebensbedrohlicher Zwischenfälle führen, sagten Experten beim DIA-Europa-Jahreskongress der Pharma- industrie in Wien.

Verbesserte Wirkung

Chrono-Therapeutika sollen einerseits die Einnahme von Arzneimitteln erleichtern, andererseits aber auch deren Wirkung verbessern. Letzteres soll durch eine bessere Anpassung an die über den Tag im Menschen unterschiedlich ablaufenden Stoffwechselvorgänge und über die zielgenauere Applikation von Medikamenten am gewünschten Zielort geschehen.

Arzneimittelentwickler Kenny Simmen betonte dabei den Wert einer Patienten-freundlichen Applikationsform von Medikamenten: "Wir können noch so 'schöne' Wirkstoffmoleküle erfinden, wenn sie die Patienten nicht einnehmen, werden wir in den klinischen Studien und im Alltag damit Schiffbruch erleiden."

Gezieltes Freisetzen

Die Wirksamkeit verbessern könnte man beispielsweise dadurch, dass Arzneimittel in Tablettenform so konstruiert werden, dass die enthaltenen Substanzen gerade dann freigesetzt werden, wenn sie den größten Effekt erzielen können oder sollen. Etwa bei Infarkten: "Wir sehen die höchsten Todesraten durch Herzinfarkte und Schlaganfälle in den ersten drei Stunden nach dem Erwachen", sagt Howard Stevens, emeritierter Professor der Universität Glasgow.

Das wird zurückgeführt auf den in den Morgenstunden stark ansteigenden Blutdruck (nach einem "Down" ab Mitternacht) und auf die ebenfalls stark ansteigende Herzfrequenz. Doch die meisten Blutdruck- und die Herzfrequenz senkenden Medikamente erreichen schon bald nach der Einnahme hohe Wirkspiegel - und wohl niemand steht in der Nacht auf, um sein Antihypertonikum so einzunehmen, dass die Wirkung am stärksten zwischen 7.00 Uhr und 11.00 Uhr am Vormittag ist. 

Verzögerter Wirkungseintritt

Howard Stevens und sein Expertenteam haben Tabletten entwickelt, die ziemlich genau vier Stunden nach Einnahme den Wirkstoff freisetzen. Dies erfolgt unabhängig von dem Säurestatus im Magen-Darmtrakt, von der Nahrungsaufnahme und von der Intensität der Darmperistaltik. Damit könnte man beispielsweise Blutdruck- und die Herzfrequenz-senkende Arzneimittel kurz vor dem Schlafengehen einnehmen. Der Effekt würde erst in den Morgenstunden auftreten.

Es geht aber nicht nur um eine Zeitverzögerung des Wirkungseintrittes von oral eingenommenen Arzneimitteln. "Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn wollen wir, dass die entzündungshemmenden Wirkstoffe gerade in jenen Darmabschnitten freigesetzt werden, die von der Krankheit betroffen sind. Das gilt auch für Chemotherapeutika wie 5-FU gegen Darmkrebs", sagt Henderik Frijlink von der Abteilung für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Universität Groningen. 

Die Antwort darauf könnten "Pillen" sein, die den Wirkstoff abhängig vom Säurestatus in bestimmten Abschnitten des Magen-Darm-Trakts abgeben. Ein solches Produkt gibt es bereits zur Behandlung von Morbus Crohn. Wissenschafter arbeiten auch an einer Arzneimittelform, welche die Einnahme monoklonaler Antikörper zur Entzündungs- hemmung (Infliximab) in Kapselform (also nicht per Infusion) ermöglicht, so der niederländische Forscher.

Impfstoffe zum Inhalieren

Ganz neue Perspektiven tun sich auch bei Impfstoffen auf, die in der Form von Trockenpulver-Inhalatoren - nicht mehr durch Injektion - angewendet werden. So wurde mit dem Applikationssystem "The Twincer" einen Einweg-Inhalator entwickelt, in den eine Influenza-Vakzine in Trockenform als Kapsel eingefügt und dann inhaliert wird.

Das hat laut Frijlink den Vorteil, dass es zur stärkeren Auslösung einer Immunantwort genau dort kommt, wo die Influenza-Viren andocken: in den Bronchien. Gleichzeitig scheint diese Applikationsform auch einen breiteren und gegen mehr Virus-Varianten schützenden Effekt zu haben.

Und schließlich wären solche Vakzine-Formen ohne Notwendigkeit für eine Lagerung bei Kühlbedingungen besonders für die Staaten der Dritten und Vierten Welt geeignet. Dort sind solche Lagerbedingungen oft nicht gewährleistet. Impfungen, die ohne Injektion funktionieren, wären auch zur Anwendung ohne medizinisch ausgebildetes Personal geeignet. (APA, derStandard.at, 27.3.2014)