Unter den Enthafteten befinden sich ehemalige Servitenkloster-Flüchtlinge.

Foto: PA/GEORG HOCHMUTH

Am fünften Verhandlungstag im Prozess gegen acht Flüchtlinge aus dem Umfeld der Refugee-Protestbewegung wurden am Donnerstag in Wiener Neustadt alle Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach acht Monaten enthaftet. Der Prozess wurde von der Richterin auf 6. Mai vertagt.

"Die Vorgangsweise im Verfahren ist sensationell: Es kann nicht sein, dass das Gericht die Aufgaben der Anklagebehörden macht. Der Prozess wurde vertagt, weil die Richterin aufgrund der Anklageschrift kein seriöses Beweisverfahren durchführen kann. Das Gericht überlegt sich also erst jetzt, welche konkreten Taten den jeweiligen Angeklagten vorgeworfen werden", sagte Gerhard Angeler, ein Verteidiger der Flüchtlinge.

Aus Schlepperring wird Hilfeleistung

Zur Erinnerung: Ende Juli 2013 wurden acht Flüchtlinge unter dem Vorwurf festgenommen, Mitglieder eines "Schlepperrings" zu sein. Aktivisten kritisieren, dass hier wie schon beim Tierschützerprozess versucht werde, einen politischen Protest durch Repression zu zerschlagen und eine kriminelle Organisation zu konstruieren.

Die Aktivisten der Refugee-Protestbewegung hatten als Betroffene zum ersten Mal selbstbestimmt auf die Mängel im österreichischen Asylsystem hingewiesen. Ihre Festnahme erfolgte am zweiten Tag der Abschiebung acht weiterer Aktivisten nach Pakistan und Ungarn. Diese Vorfälle haben eine breite Solidarisierung der Zivilgesellschaft mit den Abgeschobenen hervorgerufen. Im Vorfeld sprach Innenministerin Mikl-Leitner von einem "brutalen, millionenschwerer Schlepperring".

"Es ist menschenrechtswidrig, gegen Gruppierungen, die eine Protestbewegung bilden, so vorzugehen und ihnen ein Verfahren zu machen. Das ist ein Versuch, Widerstand mundtot machen", sagte Rechstanwältin Michaela Lehner.

Freundschaftsdienste gegen kleine Beträge

In dem vergangene Woche begonnenen Verfahren sprechen die Angeklagten von Hilfsleistungen bei der Unterstützung anderer Flüchtlinge auf ihrem Weg zu Asylverfahren in EU-Ländern. Es ist nicht möglich, von außerhalb Europas einen Asylantrag zu stellen - dieser Umstand ist etwa im Rahmen des Snowden-Falles bekannt geworden. Die momentane europäische Gesetzeslage zwingt Flüchtlinge aber auch innerhalb der EU, Fluchthilfe in Anspruch zu nehmen. Viele pakistanische Staatsbürger migrieren von Österreich nach Italien oder Deutschland, weil sie dort vielfach höhere Chancen auf positive Asylverfahren haben. Genau in diesem Zusammenhang haben die Angeklagten nach eigenen Angaben Hilfeleistungen erbracht.

Auch die Richterin verwendete bereits nach dem ersten Verhandlungstag Begriffe wie "Nachbarschaftsdienste" und "Freundschaftsdienste" gegen kein oder nur geringes Entgelt. Es handelt sich bei den Kontobewegungen um Beträge, die wenige hundert Euro ausmachen, von den anfänglich kolportierten zehn Millionen Euro ist im Prozess keine Rede mehr. Die selbst geflüchteten Angeklagten zeigen sich im Verfahren teilgeständig mit der Begründung, dass es kein Verbrechen sein könne, Freunden oder Bekannten auf der Flucht zu helfen.

Fahrlässige Ermittlungsarbeit

"Wenn du einer Person, die sich in Lebensgefahr befindet, auf der Flucht hilfst, kann es doch kein Verbrechen sein." Er ergänzt: "Acht Monate Gefängnis, aus welchem Grund? Aufgrund welcher Beweise? Wir sind keine Menschenschlepper, sondern selbst Geflüchtete, die für ein sicheres Leben nach Österreich gekommen sind. Wenn die Behörden Schlepperei wirklich beenden wollen, sollen sie die Grenzen öffnen", sagte ein Flüchtlingsaktivist in einer Sitzungspause zu den anwesenden Journalisten.

Die Ermittlungsarbeit der Behörden im polizeilichen Abschlussbericht, auf dem die Anklage basiert, stellt sich als fahrlässig heraus: hypothetische Annahmen, kopierte Wikipedia-Einträge, krude Übersetzungsfehler, willkürliche Personenzuordnungen, Faktenüberschneidungen, Konstrukte noch nicht ausgeforschter "Schlepperbosse" im Ausland. Der Akt wird von den Anwälten als "unwürdig" bezeichnet. Auch die Haftbedingungen stellen laut Verteidigung Verletzungen des Grundrechts auf Privat- und Familienleben dar.

Entlassung aus Untersuchungshaft nach acht Monaten

Am Donnerstag, dem fünften und vorerst letzten Verhandlungstag, kam die Staatsanwältin den Verteidigern "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit" mit einem Antrag auf Enthaftung zuvor. "Die Staatsanwaltschaft hat einen Enthaftungsantrag gestellt, weil die Untersuchungshaft unverhältnismäßig war. Die Angeklagten waren seit Ende Juni 2013 in U-Haft", sagt Rechtsanwältin Michaela Lehner. "Es hat sich herausgestellt, dass sich die Anklagepunkte überschneiden, sprich, die ermittelnden Behörden sehr oberflächlich gearbeitet haben. Wer was wo gemacht hat, ist nicht spezifiziert worden, wie es in einer Anklageschrift sein müsste."

Verteidiger Gerhard Angeler ergänzt: "Die Staatsanwältin hat die letzte Möglichkeit genutzt, das Gesicht zu wahren, sie hat gerade noch die Kurve gekratzt. Die Anwälte hätten in der heutigen Verhandlung ohnehin Enthaftungsanträge gestellt und wären zusätzlich auf die unklare Anklage eingegangen."

"Das Verfahren zeigt, wie wichtig eine starke, unabhängige Rechtsanwaltschaft für einen demokratischen Rechtsstaat ist. Das polizeiliche Kartenhausgebilde wackelt ordentlich", erklärt Rechtsanwalt Josef Phillip Bischof.

Die Enthaftung entspricht keinesfalls einem Freispruch, das Verfahren ist lediglich bis 6. Mai vertagt. Das ermöglicht es den Anwälten und Angeklagten, sich mit Hilfe von Übersetzern genauer mit dem polizeilichen Abschlussbericht sowie Protokollen der abgehörten Telefonate auseinanderzusetzen. Es handelt sich hier um Berge von Akten und zehn DVDs der Telefonüberwachung, die vor der nächsten Sitzung nach Relevanz sortiert werden sollen. (APA/Olja Alvir, daStandard.at, 27.3.2014)