Der Online-Einzelhändler Amazon will möglicherweise schon bald mit einem kostenlosen Streaming-Dienst für Fernseh- und Musikvideoinhalte an den Start gehen. Das Angebot solle sich über Werbung finanzieren, wie Insider berichten. Für Amazon würde der Schritt eine Kehrtwende markieren. Bisher sollte das Video-Angebot für 99 US-Dollar pro Jahr mit dem Prime-Abonnentenservice verknüpft werden.
Der neue Streaming-Dienst könnte mit originalen und lizenzierten Inhalten bereits in einigen Monaten online gehen. Als Teil der Entwicklung des Services setzte sich Amazon mit den Machern von "Betas" zusammen, sagten gut informierte Personen. Die Fernsehserie dreht sich um ein Start-up aus dem Silicon Valley. Amazon gehörte im vergangenen Jahr zu den Ko-Produzenten.
Gratis-Musikclips
Zudem plant der Konzern von Gründer Jeff Bezos Gratis-Musikclips für Nutzer, die auf den Shoppingseiten von Amazon surfen. Bei einer Suche nach CDs von Bruce Springsteen könnte der Kunde zum Beispiel umsonst das Video "Born in the USA" anschauen. "Wir experimentieren häufig mit neuen Dingen, verfolgen aber keine konkreten Pläne, gratis einen Medien-Streaming-Service ins Leben zu rufen", wiegelte eine Amazon-Sprecherin die Berichte ab.
Mit Videos und Anzeigen ins Multimedia-Geschäft
Videos mit Anzeigen wären Teil einer breiteren Strategie, sich von einem Einzelhändler zu einer ernstzunehmenden Größe im Multimedia-Geschäft zu entwickeln. Der Konzern aus Seattle dominiert das E-Commerce. Wettbewerber wie Googles YouTube und Netflix haben beim Streaming von Musik und Videos jedoch weit die Nase vorn. Wie viel mit Werbung eingespielt werden kann, verdeutlicht eine Zahl: Allein in den USA dürfte TV-Reklame dieses Jahr laut dem Branchendienst eMarketer 68,5 Milliarden Dollar in die Kassen der Konzerne spülen.
Amazon nahm vergangenes Jahr rund 1 Milliarde Dollar in die Hände, um Inhalte zu kaufen und Programme selbst zu produzieren. Solche Ausgaben - zu denen selbst die Expansion in die Lieferung von Lebensmitteln zählt - vermiesten die Gewinne trotz sprudelnder Erlöse.
Anzeigenmarkt
Mit den Streaming-Videos könnte der Bezos-Konzern bei Anzeigen seine Muskeln spielen lassen. Klammheimlich hat das Unternehmen einen Dienst gestartet, mit dem sich Anzeigen auf eigenen und anderen Webseiten platzieren lassen. Diese Sparte dürfte laut eMarketer 2014 nahezu 1 Milliarde Dollar erlösen. Damit spielte Amazon in einer Liga mit AOL und IAC/InterActive, bliebe aber noch deutlich hinter Google oder auch Yahoo zurück. Zum Vergleich: YouTube allein machte über Anzeigen vergangenes Jahr einen Umsatz von 5,6 Milliarden Dollar.
Unklar, ob neue Plattform oder auf Amazon.com
Es bleibt noch unklar, wie Amazon seine mit Werbung versehenen Inhalte zu den Nutzern bringen will. Eventuell ließe sich ein Extra-Feld auf der eigenen Homepage schaffen, so die Insider. Amazon könnte das Projekt aber auch auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben oder aus Kostengründen stark abändern. Amazon zeigte im Februar Gratis-Previews für zehn Serien auf seiner Webseite. Parallel liefen Anzeigen für Geico-Versicherungen der Berkshire-Holding von Investorenlegende Warren Buffett.
Der Online-Konzern wählte "Betas" für einen ersten Probelauf des Prime-Services aus. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Serie für eine zweite Laufzeit wieder auflebt, so mit der Angelegenheit vertraute Kreise. Amazon wollte das Programm wohl insbesondere für das anzeigengestützte Streaming-Projekt produzieren.
Eigenes Streaming-Gerät
Videos für den Prime-Service sollten ursprünglich mit speziell dafür ausgerüsteten Fernsehern abgespielt werden. Das würde wie mit Set-Top-Boxen von Roku, Videospielkonsolen von Microsofts Xbox und Amazons Kindle-Fire-Tablet funktionieren.
Hier steht eine große Änderung ins Haus. Bei einer Presseveranstaltung in New York in der kommenden Woche dürfte Amazon ein Video-Streaming-Gerät vorstellen, das besser mit Roku, Googles Chromecast und Apple TV konkurriert. Dieser Service soll Apps im Programm haben, wie sie auf anderen Set-Top-Boxen - etwa von Netflix und Hulu - laufen, so die Insider.
Werbung für Prime
Mit dem neuen Angebot will Amazon seinen Kunden offenbar einen Anreiz liefern, sich für Prime zu registrieren. Prime-Kunden verbringen laut einigen Schätzungen doppelt so viel Zeit auf Amazon.com wie andere Nutzer. Mit Hilfe des Musik- und Video-Streamings hofft der Konzern auch auf mehr Einzelhandelsumsätze. Zudem könnte das Unternehmen dank der zusätzlichen Daten zu Video- und Musikpräferenzen bessere Produktempfehlungen für seine rund 240 Millionen Nutzer abgeben.