Gastredner bei Leadership Revisited war Wolfgang Looss (links) - mit den Initiatoren Barbara Heitger (Heitger Consulting) und Martin Engelberg
(Vienna Consulting Group).

Foto: Regine Hendrich / Standard

Keine Verkündungen und schon gar keine Heilsversprechen wolle er geben - "es wird genug verkündet über Leadership", so leitete der renommierte systemische Unternehmensberater Wolfgang Looss Anfang dieser Woche seinen Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Leadership Revisited" (Heitger Consulting, Vienna Consulting Group) ein. Der Abend im Wiener Palais Todesco war dem Thema "In Turbulenzen steuern - die Renaissance von Führung" gewidmet. Kaum tue sich ein neues Problem auf, führte Looss weiter aus, gebe es auch gleich die passende Antwort darauf, wie damit umzugehen sei. Er spreche aus Erfahrung, viele Jahre habe er selbst "Management-Development" mitgemacht, sagt er.

Nicht zuletzt diese Erfahrung habe ihn dazu bewogen "erkundend" darauf zu schauen, wie man über das Thema des Führens in Turbulenzen neu nachdenken könne. Denn auch wenn man vom Versagen großer Systeme spreche und ihnen auch prophezeihe, sie würden "kurz vor dem Erstarrungstod stehen", wissend, dass sie nicht gut dafür geeignet seien, graziös Gewitter zu umschiffen, seien sie doch darauf ausgerichtet, diese "durchzustehen". Es werde ja auch viel dafür gemacht: Eine klassische Reaktion großer Systeme ist dann zum Beispiel, so Looss, mehr strukturelle Komplexität aufzubauen - etwa mithilfe gleich mehrerer organisationaler Dimensionen, Ebenen und einer Vielzahl von Projekten. Und so könnten auch klassische Führungssysteme aufrechterhalten werden. Die Psychologie dahinter, nämlich das Große und wenig Dynamische in kleine Gruppen aufzuteilen, um so Organisationen zu verändern, sei nachvollziehbar, sagt er, nütze aber nicht viel. Denn: "Um robust zu werden, hilft es nichts, die Performance zu steigern. Auch wenn das immer wieder probiert wird."

Wie aber kann gesteuert werden, wenn Führung nicht mehr nach klassischen Mustern funktioniert? Looss: "Suchen Sie keine neuen 'Aussagesysteme' wie die verkündend daherkommende neue Heilslehre der 'Transformationalen Führung'." Davon müsse man sich verabschieden. Stattdessen: Hausverstand aktivieren, aushalten, ganz vieles nicht zu wissen, ans Lernen kommen und darüber nachdenken, ob es nicht geeignetere Leitdisziplinen von Führung gibt als zum Beispiel Betriebswirtschaft.

Menschenverstand und Kunst

Der Vorschlag seinerseits: Menschenverstand und Kunst. Denn der Künstler ist der Experte des Nichtwissens, so Looss. Er finde vor allem Gefallen an seiner Lieblingsfigur des "erfahrenen Anfängers" - einer erfahrenen Person, die Neuland betrete. Womöglich wäre es eine "aussichtsreiche Form", etwa in einem Führungskräftetraining sich mit dem Gefühl auseinanderzusetzen, nichts zu wissen. "Womöglich", so der Unternehmensberater. Gut sei es in jedem Fall, sich mit dem eigenen Narzissmus auseinanderzusetzen, auch mit dem Kollektiv, sagt er. Denn in der Turbulenz "ist der heroische Einzelkämpfer wahrscheinlich nicht die beste Wahl", so Looss weiter.

Führung wäre dann wahrscheinlich wertegetrieben, in gewisser Weise "intimer". "Man könnte ja auch über ungewohnte Begriffe nachdenken", so Looss im Nachsatz. Die Wahrnehmung könnte sich dadurch intensivieren. Diese "aussichtsreichen Qualitäten" könnten gemeinsam zu einem Ausgangspunkt führen, an dem Führung neu oder anders gedacht werden könne. "Womöglich", so der Berater erneut.

"Wie aber würde dann Führungskräfteentwicklung aussehen?", stellt er die für Praktiker entscheidende Frage in den Raum und bietet gleich konkrete Punkte dazu an - Übungen, wie er sagt:

  • Loslassen. "Lassen Sie elegant und graziös los." Loslassen sei in der Führung eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Teiltätigkeit. Es sei notwendig, sich von der Idee zu verabschieden, "alles im Griff zu haben" - also: "un-learn". Denn beim Loslassen komme die eigene Person ganz stark zum Vorschein, so Looss weiter.
  • Neugierig sein und die Wahrnehmung der eigenen Person festigen. Im Falle eines Mergers - zum Beispiel - sei es hilfreich, sich zu überlegen, an welcher Stelle man "andocken" könne: Wie gut bin ich darin, wie leicht oder schwer kann ich Irritationen aushalten, wie groß sind meine Neugier und die Fähigkeit zur Abstimmung? Dies seien schon mal gute Fragen. Zentral ebenfalls die Frage nach den eigenen Interessen. Looss: "Darauf wissen die meisten Führungskräfte keine richtige Antwort - da kommt dann immer Sport etc." Stelle man sich die Frage aber "richtig", komme man auf die Ebene der Sehnsüchte, die wiederum mehr Aussagekraft in Sachen Andocken haben, erklärt er.
  • Neue Kommunikationsgefäße entdecken. Die Erfahrungen, die jeder mit gängigen Methoden habe, seien wohl "mehr oder weniger dramatisch", das erhoffte Ergebnis brächten sie in vielen Fällen jedenfalls nicht, so Looss. "Warum also nicht über einen Waldspaziergang nachdenken?" Ein vertiefter Dialog könnte sich in turbulenten Zeiten als durchaus profitabel herausstellen.
  • Selbstreflexion. Die individuelle Reflexion und eine Selbstreflexion in den "Sozialkörpern" ist wichtig. Viele haben dafür aber keine Zeit, so der Berater: "Aber im Nebel geht man doch auch langsamer und orientiert sich immer wieder neu." Wichtig zu wissen sei lediglich, wie viel in Turbulenzen davon notwendig sei.
  • Häufiges und spontanes Feedback. "Bringen Sie die Kommunikation zum Fließen", sagt Looss. Allerdings hänge die Qualität der Feedbackverarbeitung stark am Reifegrad der jeweiligen Person - "viele erleben Feedback nämlich als Angriff." Es gelte die Mitarbeiter und Kollegen dazu zu ermuntern, so Looss weiter und mahnt: "Protect the voices from below!"

"Selbstfürsorge" andenken

Steuern in turbulenten Zeiten, das bedeute für Führungskräfte auch, vieles bewältigen zu müssen. Ein zuweilen enormer Kraftaufwand, für dessen Bewältigung man seine Kraftquellen kennen müsse, so Looss abschließend zum Stichwort "Burnout". "Auf Führungskräfteebene ist das eine unglaubliche Materialprüfungsserie", das dürfe man nie außer Augen lassen. "Selbstfürsorge ist es, was dafür angedacht werden muss." Auch das sei eine wichtige Teilfunktion für Führung in turbulenten Zeiten. Ganz sicher - und nicht "womöglich". (Heidi Aichinger, DER STANDARD, 28.3.2014)