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Der Psycholge Manfred Spitzer hat 2012 ein Buch mit dem Titel "Digitale Demenz" veröffentlicht. Kritik hagelt es nun von Wissenschaftlern der Uni Koblenz-Landau: "Die alarmistischen Thesen von Spitzer und anderen Kollegen haben wenig mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand zu tun."

Foto: APA/EPA/PETER STEFFEN

Linz/Koblenz - In populärwissenschaftlichen Büchern wie "Digitale Demenz" von Manfred Spitzer wird über die schädlichen Auswirkungen von digitalen Medien berichtet und vor einer intensiven Nutzung des Internets gewarnt. Medienpsychologen der Universität Koblenz-Landau zeigen, dass Spitzers Thesen mit den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig gemein haben.

Um populäre Behauptungen zu den schädlichen Auswirkungen von Internet & Co. möglichst objektiv mit dem aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand abzugleichen, suchten Markus Appel und Constanze Schreiner vom Fachbereich Psychologie der Uni Koblenz-Landau (zum Zeitpunkt der Studie an der Uni Linz) gezielt nach Meta-Analysen zum Thema digitale Medien. Meta-Analysen sind Studien, in denen vorliegende Befunde vieler Untersuchungen gemeinsam betrachtet werden, mit dem Ziel, einen durchschnittlichen Trend der wissenschaftlichen Ergebnisse zu ermitteln. 

Laut Appel und Schreiner widersprechen die wissenschaftlichen Ergebnisse auf vielen Gebieten klar den Thesen zu den schädlichen Auswirkungen des Internets. Nach dem jetzigen Stand der Forschung führe vermehrte Internetnutzung im Mittel weder zu weniger sozialem Austausch, noch zu weniger gesellschaftlich-politischem Engagement. Auch sind intensive Internetnutzer nicht einsamer als Wenignutzer.

Eltern werden falsch informiert

"Die alarmistischen Thesen von Spitzer und anderen Kollegen haben wenig mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand zu tun", ist  der Medienpsychologe Appel überzeugt. Laut den Studienautoren verschleierten die nicht sachgemäßen Thesen zu den Auswirkungen von Internetnutzung den Blick für die Herausforderungen, die mit einer Verbreitung von Computer und Internet im Alltag verbunden sind.

Appel befürchtet, dass nicht zuletzt Eltern und Lehrkräfte durch Bücher wie "Digitale Demenz" falsch informiert und damit fehlgeleitet werden: "Wichtig erscheint mir, dass Erziehungspersonen die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen nicht von Vorneherein verteufeln, denn dann wird es schwer, ein kompetenter Gesprächspartner in Sachen Internet zu sein", so der Wissenschaftler.

In der Studie sind aber auch Ergebnisse enthalten, in denen sich Spitzers Thesen und der wissenschaftliche Kenntnisstand überlappen. Dabei handelt es sich um die Aspekte "Wohlbefinden", "Übergewicht" und "Aggressionen". "Die Zusammenhänge fallen allerdings im Mittel eher schwach aus, so dass auch hier kein Anlass für eine alarmistische Haltung gegeben sei", betonen die beiden Forscher. 

Allgemeine Befunde sind noch kein Beweis

Im Zusammenhang mit Lernprozessen widerspricht die Befundlage der Meta-Analyse allerdings den Thesen zur "Digitalen Demenz". "Im Mittel ist der größte Wissenszuwachs zu verzeichnen, wenn es sich um eine Mischung aus Face-to-face-Kommunikation und multimedialen Anteilen handelt. - Auch die Wirkungsstudien zum Lernen mit Computerspielen zeigen im Durchschnitt positive Effekte", erläutern Appel und Schreiner. 

Nicht berücksichtigen konnten die beiden Forscher jene Mythen, die bislang noch keiner wissenschftlichen Prüfung unterzogen worden sind. Dabei handelt es sich etwa um die Vermutung, dass das routinemäßige Verwenden von Navigationssystemen zu einer schlechteren räumlichen Orientierung führt.

Ein Grund für die Popularität Medien-kritischer Publikationen sehen Appel und Schreiner darin, dass sich viele Autoren auf allgemeine neurowissenschaftlichen Theorien und Befunde beziehen. "Diese hätten allerdings in populärwissenschaftlichen Büchern häufig keinen direkten Bezug zu den Kerninhalten, wirkten aber dennoch gerade für Laien überzeugend", resümieren die Experten. (red, derStandard.at, 28.3.2014)