Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Cavalleria rusticana – Pietro Mascagni/ Der Bajazzo – Ruggero Leoncavallo.
22. März 2014, Staatstheater Hannover

Bild: Oliver Schopf

Die meisten Morde sind weiterhin Verbrechen aus Leidenschaft, nicht wenige von ihnen aus Eifersucht. Die bürgerliche Vorstellung von monogamer Liebe, von emotionaler Besitzergreifung sorgt für nicht wenige Tote, zugleich aber auch für einige spannende Kunstwerke.

In Hannover beginnt das veristische Doppelspiel mit dem Prolog von "I Pagliacci", ein grandioser Einfall, denn Leoncavallos Poetologie betrifft gleichermaßen jene von Mascagni. Das funktioniert exzellent, das sollte man immer so handhaben. Die Inszenierung fasst die beiden Kurzopern als Einheit auf, als dramaturgische Variationen eines Themas. Das Bühnenbild bleibt gleich: mächtige Arkaden, zunächst in schwarz und weiß und ohne Aussicht, dann in brauner Farbe und mit Ausblick auf eine hügelige Landschaft. Davor der weite Platz der Täuschungen und Regungen.

Foto: Jörg Landsberg
Foto: Jörg Landsberg

"Cavalleria rusticana" als Chronik eines angekündigten Todes. Erstochen liegt Lola auf dem Boden. Der Rest der Oper verläuft als Rückblick. Der Auftaktgesang des Chors erfolgt hinter einem Vorhang, auf den die Gesichter der freundlich dreinblickenden Chormitglieder (oder anderer Bürgerinnen und Bürger) in Alltagskleidung projiziert sind. Am Ende sind nur ihre Gesichter zu sehen, teilweise ineinander verschmolzen. Große gefährliche Gefühle sind im scheinbar harmlosen Alltag beheimatet.

Eine straffe und stimmige Inszenierung, ganz im Gegensatz zur Musik. Dirigentin und Orchester scheinen miteinander im Clinch zu liegen, schon lange nicht mehr eine so disparate Leistung gehört. Schrille Töne, verschleppte Tempi, hässliche Laute. Der Chor wirkt verunsichert und die stimmmächtige Santuzza forciert immer wieder (Milana Butaeva), als wäre ihre ganze Rolle ein einziger Schmerzensschrei.

Foto: Jörg Landsberg
Foto: Jörg Landsberg

Höhepunkt: Wie Santuzza gelähmt als Requisite der Verzweiflung auf einem der Stühle vor der Trattoria sitzt, auf ewig zum Unglück verdammt, ist unvergesslich (sie bleibt dort die ganze Dauer des "Pagliacci" sitzen – ein Fremdkörper, den man irgendwann nicht mehr wahrnimmt).

Coda: Am nächsten Tag beginnt die aktuelle Folge der US-amerikanische Fernsehserie "Revenge" mit der berühmten Arie des Bajazzos. "Opening Night Gala: I PAGLIACCI." Geschichten von Intrige und Scham kommen ohne Oper offensichtlich schwer aus. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 29.3.2014)