Andreas Khol hat ein Gelöbnis abgelegt: Er will die Kreativität "der Jungen" nicht abwürgen. Obwohl, einfallen würde ihm einiges: "Das haben wir ja noch nie gemacht." Oder: "Das haben wir ja alles schon gemacht, das hat aber nicht funktioniert." Noch schlimmer: "Da könnte ja jeder kommen." Aber: äußerste Zurückhaltung des Altspatzen bei der jüngst ausgerufenen Programmdiskussion!
Ganz im Gegensatz zur SPÖ, wo ja Khols Visavis aus dem Seniorenrat, der frühere Innenminister Karl Blecha, bei nicht mehr ganz zeitgemäßen Inhalten den Rotstift ansetzen soll.
Umhören an der Basis
Der schwarze Generalsekretär Gernot Blümel will die Sache anders angehen: Ab kommender Woche begibt er sich - ausgestattet mit einem Stapel Fragebögen und viel Geduld - auf eine "Wo-drückt-der-Schuh-Tour" in die Bundesländer. Zuhören, die eigenen Leute mit einbeziehen lautet sein Rezept. Etwas das seiner Ansicht nach im 2007 gestarteten Perspektivenprozess "ein bisschen zu kurz gekommen" ist.
Die Programmarbeit unter dem damaligen Landwirtschaftsminister Josef Pröll sei zwar "gut aufgesetzt und intellektuell" gewesen. Tatsächlich war die Diskussion aber auf diskussionsfreudige Eliten innerhalb und außerhalb der Partei beschränkt - Pröll und sein Generalsekretär Fritz Kaltenegger erreichten mit dem Perspektivenpapier nicht einmal die Herzen aller Funktionäre; geschweige denn die Basis.
"Viel haben wir nicht vorgefunden, das wir hätten übernehmen können", sagte Kalteneggers Nachfolger Hannes Rauch, nachdem Michael Spindelegger nach seiner Wahl zum Parteichef die Programmarbeit zugunsten der Erarbeitung eines Wahlprogramms zurückgestellt hatte.
Heute weiß Blümel: "Das war am Ende des Tages das Problem, dass das Papier nicht in die DNA der Partei übergegangen ist."
Eine Kritik, die so mancher, der damals unzählige Stunden in Arbeitsgruppen verbracht hat, teilt. Seit neuestem auch gerne wieder in aller Öffentlichkeit und Buchform.
Wenn Walter Marschitz, Sprecher der Plattform für offene Politik, etwa in "Die Volkspartei. Evolution" bekrittelt, die ÖVP habe mit keiner der Initiativen, die ihr frischen Wind einhauchen wollte, "etwas anzufangen gewusst" weil "offenbar allein schon Bewegung verdächtig mache", trifft er einen Nerv, den manch ein ÖVP-Sympathisant lieber hinter vorgehaltener Hand ausspricht.
Und während Marschitz die Hoffnung auf Reformfreudigkeit noch nicht ganz aufgegeben hat ("Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Überleben als staatstragende Partei"), schreibt ein bunter Vogel, der sich mittlerweile aus der Partei zurückgezogen hat, die Schwarzen schon ab: "Der Reformprozess schaut aus wie eine zwanghafte Wiederbelebung von etwas, das nicht wiederbelebbar ist."
Enttäuschte gingen zu Neos
Ähnliches hat sich wohl auch eine Gruppe rund um einen gewissen Matthias Strolz gedacht, der jetzt als Chef der Neos den früheren Weggefährten das Leben schwer macht. Michael Schuster, heute im Vorstand der pinken Partei, war von Anfang an dabei - auch bei jenen zwei Tagen in Linz, als rund 500 ÖVP-Sympathisanten der Partei inhaltlich auf die Sprünge helfen wollten. Heute ist er sich sicher: Wenn die Schwarzen damals ihr Programm deutlich überarbeitet und liberaler gestaltet hätten, "wenn das damals funktioniert hätte, dann gäbe es die Neos ja nicht".
Es kam anders - und der Generalsekretär ist froh darüber: "Das Parteiprogramm ist in den Grundwerten ja zeitlos." Eine neues brauche man folglich nicht, es gehe um Weiterentwicklung - und dabei will man jetzt auch auf die Kraft des Internets setzen. Nicht die einzige Idee, die man sich von Politneulingen wie Neos und Piraten abgeschaut hat. Man könne von jedem Mitbewerber etwas lernen, findet Blümel und überlegt: "Vielleicht muss die ÖVP in der Stadt mehr Junge ÖVP sein." Soll heißen: Freude an der Politik versprühen, positive Vibes. Blümel: "Diese Grundstimmung ist momentan nicht da." Das ärgert ihn ein bisschen. Ein bisschen sehr. Also hofft er auf die bevorstehenden Europawahlen als Impulsgeber und "Einigungsmoment für die politische Bewegung".
Um die Einigkeit war es in einer pluralistischen Partei wie der ÖVP noch nie besonders gut bestellt. Wenn dann noch einer der Altvorderen mit Tipps zur Hand ist - oder wie Erhard Busek offen seine Sympathien für die Neos kundtut -, ist das genau jene Gruppendynamik, gegen die Blümel anzurennen versucht. Harald Mahrer und Klemens Riegler-Picker (Sohn des ehemaligen Parteichefs) drängen daher darauf, die Programmdiskussion ernsthaft zu führen: Binnen Jahresfrist könnte man dann einen Programmparteitag abhalten. (Karin Riss, Conrad Seidl, DER STANDARD, 29.3.2014)