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Das Wahrzeichen von Paris ist 125 Jahre alt.

Foto: APA/EPA/IAN LANGSDON

Paris - Er wacht über zehn Millionen Einwohner, er ist das stolze, nicht mehr wegzudenkende Wahrzeichen einer Weltstadt. Doch bevor er 324 Meter hoch in den Pariser Himmel ragte, wurde er zuerst einmal gehörig kleingemacht. Guy de Maupassant schalt ihn ein "anmutsloses Skelett", Léon Bloy eine "tragische Laterne"; ein Kollektiv aus 47 Künstlern wie Alexandre Dumas spottete über den "bis zum Schwindel lächerlichen Kaminschlot", der mit seiner "barbarischen Masse" die schönsten Pariser Monumente wie die Notre-Dame-Kathedrale, den Triumphbogen oder den Invalidendom erdrücke.

Historische Pioniertat

Damit hatten sie nicht einmal unrecht: "La tour Eiffel" stellt seit ihrer Einweihung 1889 alle anderen Bauten in den Schatten - nicht nur in Paris. Am 31. März jenes Jahres kletterten und keuchten hundert Gäste im Gänsemarsch gut 1700 Stufen auf die oberste Plattform hoch. Auf dem damals höchsten Bauwerk der Welt angekommen, muss es ihnen den verbliebenen Atem noch ganz verschlagen haben. Nur Gustave Eiffel blieb ruhig; im Bewusstsein, eine historische Pioniertat vollbracht zu haben, hisste der ursprünglich deutschstämmige Ingenieur, während die Menge unten wie ein Ameisenhaufen jubelte, eine drei mal fünf Meter große Frankreichflagge.

Im gleichen Umfang schwellte die Brust der Nation, die Kritiker verstummten alsbald. Schon im ersten Jahr stiegen 29 000 Besucher - wohlgemerkt: zu Fuß - auf den "300-Meter-Turm", wie er damals hieß. Heute transportieren mehrere Aufzüge die Besucher bequem zur zweiten Etage auf 115 Meter Höhe und dann auf die oberste Plattform auf 274 Meter Höhe, wo man in einer Champagnerbar auf das kribbelnde Gefühl in der Magengegend anstoßen kann. An schönen Sommertagen empfängt die "dame de fer" oder "eiserne Dame" bis zu 35 000 Besucher. Zu Spitzenzeiten beträgt die Wartezeit zwischen den vier Grundpfeilern mehrere Stunden.

Zehntausende Glühbirnen

Das Pariser Volk fährt lieber abends, wenn die Lichterstadt ihre Pracht entfaltet, auf ihren Turm (im Winter ist er bis 23 Uhr, im Sommer bis Mitternacht offen). Das lässt sich mit einem Dîner im Restaurant Jules Verne im zweiten Stockwerk des Turms verbinden. Dort beträgt die Wartezeit für einen Fensterplatz allerdings nicht Stunden, sondern Monate.

Der sonst einzige Nachteil des einzigartigen Bauwerks, von dem in Mexiko, China, Rumänien oder den USA mehr als 50 Meter hohe Nachahmungen stehen: Wer auf dem Original steht, befindet sich am einzigen Ort in Paris, von dem man den Eiffelturm nicht sieht. Dabei liebt ihn die Hauptstadt auch nachts, wenn er zur vollen Stunde ein paar Minuten funkelt. Vor Jahren installierten 50 Alpinisten zu diesem Zweck Zehntausende von Glühbirnen; zuoberst, wo auch alle Pariser Radiostationen ihre Antenne haben, streicht ein Leuchtturmstrahl kilometerweit über das endlose Häusermeer der Pariser Agglomeration, der "Ile de France".

Permanente Baustelle

Der Eiffelturm bleibt 125 Jahre nach seiner Einweihung eine permanente Baustelle. Das 10 000 Tonnen schwere Ungetüm aus Lothringen-Eisen wird ständig repariert und renoviert. Damit die Metallstreben nie rosten, müssen sie regelmäßig ersetzt oder zumindest neu bemalt werden. Wind, Regen und Korrosion "fressen" jährlich 15 Tonnen Farbe. Sie muss in vier Schichten - davon zwei rostfreie - neu aufgetragen werden. Bei heißem Wetter neigt sich der Eisenturm hitzebedingt vier Zentimeter von der Sonne weg.

Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu den zweijährigen Bauarbeiten vor 1889. Gustave Eiffel, dank Eisenkonstruktionen in der ganzen Welt schon damals ein berühmter Ingenieur, errichtete den gigantischen Eisenturm mit der Präzision eines Uhrmachers. Hunderte von Plänen sahen jedes Detail voraus, mit allen 2,5 Millionen Nieten. Eiffel hatte einen deutschen Vater, der Böninckhausen hieß und sich in Frankreich - in Anlehnung an die deutsche Eifel-Gegend - umtaufen ließ, da sein Name in Paris unaussprechbar war. Das war vielleicht besser so; sonst hieße das Pariser Wahrzeichen heute "Turm von Böninckhausen ".

Risikozuschlag verlangt

Nur etwas sah Eiffel nicht voraus. Im Herbst 1888, als die zweite Etage bereits erreicht war, legten die 250 Turmarbeiter die Arbeit nieder und verlangten einen Risikozuschlag gemessen an der Bauhöhe. Bei der rasant fortschreitenden Höhe des Bauwerk hätte das die Kosten in gleichem Masse in die Höhe getrieben. Eiffel gewährte nur eine kleine Lohnaufbesserung ohne Gefahrenprämie. Er stellte sich auf den eher pragmatischen Standpunkt, wer aus 300 Meter Höhe stürze, falle nicht härter, als wenn er aus 50 Meter falle. In Wirklichkeit gab es keinen einzigen tödlichen Arbeitsunfall; auf der Baustelle starb einzig ein Angestellter bei einem Sonntagsauflug mit seiner Verlobten.

Seither hat der Sprung vom Pariser Wahrzeichen traurigerweise etwa 400 Selbstmördern das Leben gekostet. Ein junger Pole konnte im vergangenen Jahr durch stundenlanges Zureden gerettet werden, nachdem er auf das Außengerüst geklettert war und 300 Meter in die Tiefe zu springen drohte, falls man ihn nicht aus einem Helikopter filme.

Ein famoses Geschäft

An anderen Sonderlingen fehlte es der "dame de fer" noch nie. 1923 fuhr ein Franzose erstmals mit einem Fahrrad ihre Treppen runter, 2001 ein Spanier selbige mit einem Mountainbike hoch. Ein Projekt, den Eiffelturm zu begrünen, wurde 2011 beerdigt; hingegen benützte der US-Komponist Joseph Bertolozzi das Monument als Klangkörper, an den er mit Stöcken, Besen und Ketten hämmerte, um dann zu befinden: "Der Turm hat eine Stimme."

Natürlich ist der Eiffelturm ein famoses Geschäft. Von den sechs Millionen Besuchern pro Jahr - weniger als Notre-Dame, Louvre oder Disneyland - kauft und verschickt eine Million eine Postkarte. Die Souvenirläden müssen der halbprivaten Turmbetreiberin SETE hohe Standmieten zahlen und kämpfen verbissen gegen die senegalesischen Straßenverkäufer auf dem Marsfeld unten, die monatlich auf 2000 Euro Umsatz kommen, wenn sie beim Feilhalten ihrer Eiffeltürmchen so diskret wie geschickt vorgehen. Noch mehr verdienen die Toilettenfrauen bei ihrer undankbaren Arbeit im Untergeschoss: Laut einem Behördenbericht kommt eine "Madame Pipi" monatlich auf 5000 Euro, Trinkgeld eingeschlossen.

Keine Gefahren-, aber Liftprämien

Die 200 SETE-Angestellten erhalten heute keine Gefahren-, aber immerhin Liftprämien. Das Geschäft mit dem Turm erbringt einen satten Gewinn in unbekannter Höhe, auch wenn Werbung am Objekt seit 1945 verboten ist. Wie der Eintrittspreis (15 Euro für Erwachsene) sind auch die Lizenzeinnahmen genau gestaffelt. Tagsüber darf man den Turm unentgeltlich fotografieren, abends verlangt der Erfinder des Lichterkleids hingegen eine Urheberrechtsabgabe auf jede Postkarte und auf jedes Souvenir mit Turmemblem.

Wer einen rotweißblauen Kugelschreiber öffnet, kommt dafür zum Beispiel in den Genuss der Marseillaise. Bloß, warum klingt sie irgendwie falsch? Auf dem kleinen Erinnerungsstück aus jenem Monument, das die Schönheit von Paris und die Grandeur Frankreichs verkörpert, steht wie auf allen anderen diskret "made in China". (Stefan Brändle, derStandard.at, 30.3.2014)