Istanbul - Knapp drei Stunden nach Schließung der Wahllokale in der Türkei deutet sich ein klarer Sieg der Regierungspartei von Tayyip Erdogan an. Das Rezept des Premiers, der die Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung als Komplott abtat und die Kommunalwahlen am Sonntag zum „neuen Unabhängigkeitskrieg" erklärte, scheint demnach einmal mehr aufgegangen zu sein: Die konservativ-religiöse Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) kann Teilergebnissen aus den Städten zufolge ihr Ergebnis von den Parlamentswahlen 2011 halten und kommt im Landesdurchschnitt auf über 45 Prozent – deutlich mehr auch als bei den letzten Kommunalwahlen. Mit 87 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung einen neuen Höchststand.
In Istanbul gelingt dem Sozialdemokraten Mustafa Sarigül nicht der Machtwechsel: Teilergebnissen zufolge liegt er knapp zehn Prozentpunkte hinter Amtsinhaber Kadir Topbas von der AKP; einige türkische TV-Sender wie Samanyolu und Fox-News folgten allerdings nicht den Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu und sahen Topbas und Sarigül näher beieinander mit 45 und 43 Prozent.
In der Hauptstadt Ankara war das Rennen am Abend noch offen: Teilauszählungen zufolge führte knapp der umstrittene AKP-Bürgermeister Melih Gökcek; der Kandidat der Sozialdemokraten, der frühere MHP-Politiker Mansur Yavas erklärte jedoch, er habe gewonnen; Ergebnisse, die von den TV-Sendern gemeldet werden, seien manipuliert, behauptete der stellvertretende Vorsitzende der CHP, Haluk Koc. Yavas' Kandidatur galt als Schachzug, um sowohl Wähler der CHP wie der rechtsnationalen MHP zu gewinnen. In Izmir, einer Hochburg der Sozialdemokraten, zeigte die Auszählung über 50 Prozent für die CHP.
Drei Bürgermeisterinnen
Fest steht bereits, dass erstmals drei Frauen eine türkische Großstadt als Bürgermeisterin führen: Fatma Sahin, Erdogans ehemalige Sozial- und Familienministerin, liegt in Gaziantep, einer Millionenstadt im Südosten des Landes, mit mehr als 55 Prozent uneinholbar vorn. In Diyarbakir, der „Hauptstadt“ der Kurden, führt Gültan Kisanak unangefochten. In Aydin, an der Ägäis, ist es die CHP-Politikerin Özlem Cercioglu.
In Sanliurfa verliert dagegen der prominente Kurdenpolitiker und bisherige Bürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, offenbar deutlich gegen den AKP-Kandidaten, den früheren Gouverneur Celalettin Güvenc. In Antakya, wo der frühere AKP-Justizminister Sadullah Ergin antrat, drehte sich im Lauf des Abends das Bild: Ergin fiel hinter dem CHP-Kandidaten zurück; Antakya, die Hauptstadt der Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien, war immer wieder Schauplatz von Demonstrationen gegen die Syrienpolitik der Regierung Erdogan. Der Premier ließ für später in der Nacht eine Siegesrede vom Balkon des Parteigebäudes in Ankara ankündigen. „Bescheidenheit ist unser Stil“, erklärte gleichwohl Parteisprecher Hüseyin Celik. (Markus Bernath, derStandard.at, 30.3.2014)