Auch wenn es einmal eng wird, schwere Unfälle gab es bisher nicht: Die Herrenstraße in der Linzer Innenstadt war eine der ersten Begegnungszonen in Österreich. 2009 startete sie auf Probe.

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Viel Platz gibt es in den Seitenstraßen der Linzer Einkaufsmeile Landstraße nicht. Und diesen wenigen müssen sich Fußgänger und Radfahrer auch noch mit fahrenden und parkenden Autos teilen. Doch es klappt - mittlerweile schon seit fast fünf Jahren. Erstaunlicherweise funktioniere das Miteinander in diesen sogenannten Begegnungszonen umso besser, je enger die Gassen werden, sagt der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ). Herrenstraße oder Rathausgasse seien Beispiele dafür, gröbere Unfälle habe es bisher nicht gegeben.

Eine Mutter, die ihren Sohn im Kinderwagen durch die Herrenstraße schiebt, geht "automatisch am Rand". Eine gekennzeichnete Fläche für Fußgänger gibt es nicht, denn der gesamte Straßenraum gehört ja allen Verkehrsteilnehmern gleichermaßen. Auf das entsprechende Schild hoch oben am Laternenmast aufmerksam gemacht, schüttelt sie den Kopf. "An Tempo 20 halten sich eher wenige." Und wenn sie mit dem Fahrrad hier durchfahre, werde sie auch immer wieder angehupt, Platz zu machen, damit der nachfolgende Pkw überholen könne. Ihr persönlich wäre eine Fußgängerzone lieber, genauso wie auch einer anderen Passantin.

Das sieht mancher Geschäftsinhaber in der Herrenstraße anders. Die Besitzerin eines Naturkosmetikladens findet es gut, dass vor ihrem Geschäft Autos parken dürfen. Denn Kundinnen kommen auch zu Kosmetikanwendungen. Anschließend, eventuell mit gerötetem Gesicht, durch die Stadt zu laufen, käme nicht bei jeder gut an. Allerdings seien die Gebühren in der Kurzparkzone mit zwei Euro für die Stunde "zu hoch", klagt die Unternehmerin.

"Unser Geschäft war früher in einer Einkaufspassage", sagt der Verkäufer von Wohnaccessoires. Doch das habe nicht gepasst. "Wir führen auch große Schalen oder Bodenvasen, da ist es wichtig, dass wir dem Kunden diese Dinge auch direkt vor der Tür in seinen Wagen verladen können."

Der Verkäuferin von Jeans, Shirts und Co ist es hingegen "egal, ob Begegnungs- oder Fußgängerzone". Nur manchmal störe es sie, wenn höhere Autos direkt vor den Schaufenstern stehenblieben und damit die Sicht auf die Schaufenster verstellt werde.

Klagen über weniger Kunden

"Das Thema Verkehrsberuhigung in Innenstädten ist oft konfliktträchtig", sagt Karl Jachs vom Referat Verkehrspolitik der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Die Bedürfnisse der Anrainer und Geschäftsleute sind unterschiedlich. Unternehmer klagen über das Ausbleiben der Kunden in den Innenstädten wegen der Fußgängerzonen. Bewohner wiederum wollen weniger Verkehr. Die Begegnungszone ist der Kompromiss, so Jachs. Oberösterreich hat deshalb 2009 den Pilotversuch für "Zentrumszonen" gestartet, der Vorläufer der Begegnungszonen. Geschaffen wurden sie in Freistadt, Ottensheim und Unterach am Attersee. Auch die Herrenstraße in Linz schloss sich an. Inzwischen liegt eine Evaluierung vor. So zeigte sich in den Pilotgemeinden keine auffällige Entwicklung in der Unfallstatistik. Allerdings: Das Verkehrsaufkommen wurde nicht weniger. Aber die Autos fuhren deutlich langsamer, das Durchschnittstempo betrug 22 Stundenkilometer. Und knapp ein Drittel der Befragten gab an, dass die Einkaufssituation attraktiver geworden und so das Zentrum aufgewertet worden sei.

Das sieht auch die Verkäuferin einer Papierhandlung in der Herrenstraße so: "In den letzten Jahren haben viele neue Geschäfte eröffnet." Jetzt stimme der Branchenmix. Und so kämen auch die Kunden wieder - zu Fuß und mit dem Auto. (Kerstin Scheller, DER STANDARD, 31.3.2014)