Karin Bergmann: Sieben Jahre Claus Peymanns Pressesprecherin, elf Jahre Klaus Bachlers Vizedirektorin. Jetzt ist sie die Chefin

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STANDARD: Können Sie eigentlich Bilanzen lesen?

Bergmann: Jetzt bald ja. Mit Hilfe des kaufmännischen Geschäftsführers Thomas Königstorfer werde ich beim Aufsichtsrat Ende April die Interessen des Hauses konkret vertreten können.

STANDARD: Fünf, acht, dreizehn Millionen Euro: Ganz genau weiß man den Schuldenstand noch nicht. Wo gibt es Einsparungspotenzial – außer bei Ihrem Gehalt?

Bergmann: Da auf jeden Einzelnen Sparmaßnahmen in der einen oder anderen Form zukommen, fand ich es richtig, ein Zeichen zu setzen. Im Übrigen ist meine Gage völlig in Ordnung. Ich habe alle Mitarbeiter aufgefordert, ihren persönlichen Bereich auf Optimierungspotenziale zu untersuchen. Ich habe gelernt: Auch Kleinvieh macht Mist. Wieviel wir genau einsparen müssen, werden wir im April wissen. Von der Größenordnung möchte ich mich nicht entmutigen lassen. Da gibt es ja Lösungsvorschläge, wie den Verkauf der Probebühne an Art for Art.

STANDARD: Und Sie mieten sie dann. Ein Taschenspielertrick ...

Bergmann: ... der im Moment eine wirkliche Hilfestellung ist. Wichtig ist, dass sie im Besitz der Holding bleibt. Hier brennt es! In so einer Situation ist man leider zu kurzfristigen, aber sofort greifenden Problemlösungen aufgerufen.

STANDARD: Haben Sie sich für diesen Feuerwehrjob beworben?

Bergmann: Nein, habe ich nicht. Aber als Minister Ostermayer Hartmann entließ, war ich doch sofort elektrisiert. Burgtheater-Direktorin zu sein ist wunderbar – und unlösbar. Natürlich fragt man sich, ob einem die Schuhe nicht zu groß sind. Aber es gibt so viele drängende Probleme, dass ich gar nicht wirklich darüber nachdenken kann. Ich mach’s einfach.

STANDARD: Sie haben bei Ihrem Amtsantritt von einer katastrophalen Situation gesprochen.

Bergmann: Das Haus war in einer großen Unruhe. Die Menschen waren verunsichert, nicht nur wegen ihrer persönlichen Situation, sondern durch den Imageschaden, den die Institution erlitten hat. Manches, was Ensemble und Mitarbeiter betrifft, hat sich schon deutlich verbessert.

STANDARD: Woran erkennen Sie das?

Bergmann: Dass sich das Klima verbessert hat, sagen mir unglaublich viele Menschen, nicht nur Schauspieler. Das hört sich jetzt fast ein bisschen sentimental an, aber es fängt beim Portier an. Die Menschen fassen wieder Mut, das greift fast schwebend auf alle über. Als ich vergangene Woche wegen einer Umbesetzung im Akademietheater eine Ansage machen musste, applaudierten die Leute, noch ehe ich mich vorgestellt habe – so viel zum Stimmungswechsel.

STANDARD: Wie fühlt man sich da: zufrieden? Stolz? Oder ist es belastend?

Bergmann: Zufrieden bin ich nicht so schnell. Stolz auch nicht. Dazu gibt es hier noch zu viele Baustellen. In den letzten Tagen dachte ich oft: Hoffentlich werde ich all den Erwartungen gerecht. Ich spreche ja immer mit mir selber, coache mich, rede mich mit dem Hausnamen an und sage: „Bergmann, gut, dass du so down to earth bist.“

STANDARD: Auch gegen Claus Peymann gab es Ensembleversammlungen und Misstrauensbezeugungen. Ähnelt die heutige Situation jener von damals?

Bergmann: Das war eine völlig andere Ausgangslage. Von einem Riss im Ensemble spüre ich übrigens nichts. Ich halte auch nichts von Lagerdenken und habe keinerlei Loyalitätsprobelem mit all jenen, die sehr gut mit der bisherigen Direktion zusammengearbeitet haben. Ich habe keine Vorbehalte und es kommen mir keine entgegen.

STANDARD: Wie wichtig ist für Ihren derzeitigen Job Ihre Vergangenheit als Vizedirektorin in der Ära Klaus Bachler?

Bergmann: Nach der großartigen, turbulenten, dann aber auch etwas altersmilde gewordenen Direktionszeit von Claus Peymann holte Klaus Bachler eine komplett neue Generation an Regisseuren nach Wien. Viele, die heute als Stars gehandelt werden oder eigene Intendanzen haben, verdienten bei uns ihre Sporen: Karin Beyer, Martin Kusej, Nikolaus Stemann, Christiane Pohle. Wir haben Birgit Minichmayr und Johanna Wokalek geholt; Michael Maertens und Joachim Meyerhoff schrittweise ans Haus gebunden, Nicholas Ofczarek die zentralen großen österreichischen Rollen gegeben. Jetzt bin ich wieder mit einer Reihe junger Regisseure im deutschen Sprachraum in Kontakt, die noch nie an der Burg gearbeitet haben.

STANDARD: Haben Sie überhaupt noch Möglichkeit, in den Spielplan gestaltend einzugreifen?

Bergmann: Fifty-fifty. Es gibt wunderbare Produktionen, wo ich den Regisseuren sofort versichert habe, dass die Vereinbarungen aufrecht sind. Und ich plane natürlich einiges neu.

STANDARD:Was planen Sie?

Bergmann: Das werde ich Ihnen bei der Programmpressekonferenz vor dem Sommer sagen.

STANDARD: Wird es die „Junge Burg“ weiterhin geben?

Bergmann: Ich habe nächste Woche ein Gespräch mit Annette und Peter Raffalt. Ich möchte mir anschauen: Was heißt „Junge Burg“ für unser Gesamtunternehmen, welche Dimension umfasst sie, wie sehen die einzelnen Teile aus, was können wir unverändert lassen, was auf andere Beine stellen. Ich bin sehr dafür, junge Menschen hier an das Haus zu binden, aber es muss in Relation zu den Möglichkeiten sein.

STANDARD: Was passiert mit Matthias Hartmanns Produktion „Der letzte Film“?

Bergmann: Ich habe dieses Angebot leider zurückziehen müssen. Die Schlagzeilen der letzten Tage über die Forderungen von Hartmanns Anwälten nach Aufhebung der Kündigung und die hohen Abgeltungsansprüche haben zu großer Unruhe im Haus geführt. Ich fürchte, dass ein künstlerisches Arbeiten nicht möglich ist. Es wäre auch für die beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler extrem belastend. Abgesehen davon, dass der Blick der Medien auf die Uraufführung vermutlich wohl ebenfalls nicht unbefangen geblieben wäre.

STANDARD: Verstehen Sie, dass Hartmann entlassen wurde, übergeordnete Instanzen oder die Aufsichtsräte unbehelligt blieben?

Bergmann: Ehrlichgestanden durchschaue ich die Vorwürfe juristisch zu wenig. Es gab ganz offensichtlich große Unklarheiten in der Geschäftsgebarung, und daraus resultieren Verantwortlichkeiten. Dazu kommen steuerrechtliche Vorwürfe. Matthias Hartmann hat ja dieser Tage über seine Anwälte ausrichten lassen, er habe früh genug gewarnt, dass hier vieles im Argen läge. Dazu kann ich nur sagen: Die Position des Burgtheater-Direktors ist mit Möglichkeiten ausgestattet, dass ich darauf konkret reagieren kann und wohl auch muss.

STANDARD: Hartmann sagt, er habe gewarnt, aber man habe ihn im Regen stehengelassen.

Bergmann: In den vergangenen vier Jahren war ich nicht im Haus. Bei den wenigen Begegnungen mit Matthias Hartmann hatte ich immer den Eindruck, er habe ein sehr gutes Verhältnis zur Ministerin. Warum schneidet er also das Thema nicht bei ihr an, bittet um ein Gespräch mit allen Beteiligten? Das Unbehagen kann sich nicht darin erschöpfen, zu bemerken, dass man gegen Gummiwände läuft.

STANDARD: Und die Gummiwand bleibt stehen?

Bergmann: Ich denke, alle Wände und Systeme, die in den letzten Jahren zu dieser immensen Schuldenanhäufung geführt haben, sind jetzt erst einmal gestürzt. Der neue kaufmännische Geschäftsführer Thomas Königstorfer und seine Mitarbeiter arbeiten mit aller Kraft daran, dem Betrieb eine transparente und gesicherte Basis zu schaffen. Auch die Kontrollorgane sind verstärkt worden.

STANDARD: Sie waren in den letzten vier Jahren nicht im Haus, aber begonnen haben die kreativen Abschreibungsmodalitäten schon vorher, 2008/09

Bergmann: Ich habe zum damaligen Zeitpunkt die Vokabel „Abschreibungsmodalität“ noch nie gehört. Ich war nicht in die kaufmännische Gebarung in Hinblick auf Bilanzen oder in die Aufsichtsratssitzungen eingebunden. Ich war hier Vizechefin von mehr als fünfhundert Mitarbeitern, habe eine ganze Spielzeit geplant, alle operativen Handlungen gesetzt und war damit vollends ausgelastet.

STANDARD: All das gehört jetzt auch zu Ihren Aufgaben – plus die Letztverantwortung für das Budget. Haben Sie zur Entlastung einen Vizechef?

Bergmann: Ich stelle in dieser angespannten Situation sicher niemanden ein. Aber ich prüfe gemeinsam mit den Mitarbeitern, wessen Kompetenzen wie erweitert werden können.

STANDARD: Finden Sie es optimal, dass der Anwalt des Burgtheaters und der Holding ein und dieselbe Person ist?

Bergmann: Eine Frage, die ich nach 10 Tagen mich nicht anmaße, beantworten zu können. Meine Aufgabe ist es jetzt zuvorderst, ein Klima zu schaffen, in dem alle wieder mit Lust hier hereingehen und in freier Atmosphäre arbeiten können. Ich bin jemand, der sehr teamorientiert arbeitet, wenngleich ich auch sehr klar und gegen Widerstände Entscheidungen fälle. Ich höre Menschen an, fordere sie, gebe ihnen Feedback – das ist die Maxime meiner Führungsarbeit. Es geht doch allen so, wir wollen wahrgenommen werden, wir wollen alle Lob und Tadel.

STANDARD: Man erwartet sich von Ihnen eine Beruhigung der Situation. Muss man sich fürchten, dass es langweilig wird?

Bergmann: (lacht) Wer mich kennt, weiß, dass ich das Gegenteil von Ruhe ausstrahle. Sicherheit im persönlichen Umgang ja; aber ich habe eine lebendige Arbeitsatmosphäre gern. Ich will nicht mit lebenden Schlaftabletten konfrontiert werden. Ich bin jemand, der allen mit Respekt entgegentritt, egal, ob ich jemanden ganz besonders schätze oder nur wenig Berührungspunkte habe. Diese Professionalität. erwarte ich mir auch vom anderen im täglichen Umgang. Die Leute wissen, dass sie direkt und auf Augenhöhe mit mir reden können. Aber es ist keine Kumpanei.

STANDARD: Werden Sie sich für die Direktion nach Ihrem Interregnum bewerben?

Bergmann: Die Bewerbungsfrist endet im Juni. Ich habe mir vorgenommen, mir genau anzuschauen, wie ich mit der Arbeit zurande komme, ob sie mir Freude macht. Und wie das, was ich mache, aufgenommen wird. Von alldem will ich es abhängig machen. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 31.3.2014)