Wien - "Genie im Abseits" hieß das Motto des Gesprächs zwischen dem Musikwissenschaftler Michael Stegemann und Konzerthaus-Archivar Erwin Barta vor dem Konzert. Darin ging es um Franz Liszt, doch auch für den Interpreten des folgenden Klavierabends hätte das Thema eine Diskussionsgrundlage bilden können. Denn Ivo Pogorelich hat sich bis heute den Ruf eines genialen Enfant terrible erhalten.

Und obwohl er inzwischen auch schon auf die sechzig zugeht, sorgen insbesondere sein Nervenkostüm und überhaupt sein ganzer Charakter immer wieder für unerwartete Szenen im Großen und im Kleinen. Wie er etwa den Umblätterer im Großen Saal anfangs unterwies und verunsicherte, das war ein harmloses kleines Drama für sich.

Alles andere als unverbindlich ist hingegen seine Herangehensweise an die Musik geblieben: Programmatisch war bereits die Zusammenstellung je einer Sonate von Chopin und Liszt und je eines kleineren Werkes der beiden in kreuzweiser Paarung in den beiden Konzerthälften.

Bei Chopins b-Moll-Sonate ließ Pogorelich denn auch keinen Zweifel daran, dass er den motivischen Bezügen - vor allem im Kopfsatz - einen ebensolchen Stellenwert beimisst wie bei Liszt: Abgründig ließ er unruhige Figuren in Melodien hineinbrodeln, setzte alles daran, das ganze Werk zur Einheit zu verschmelzen. So versuchte er etwa den Mittelteil des Trauermarsches weniger als idyllischen Kontrast, sondern eher als bebenden Teil des Dramas darzustellen.

Bis an die Grenzen

Dass dann Liszts erster Mephisto-Walzer in einem merkwürdigen Wechsel - zwischen spannungsgeladen und unbeteiligt - ablief, war ein wenig schade. Bis an die Grenzen ging Pogorelich aber nach der Pause bei Chopins Nocturne c-Moll (op. 48/1): Mit unerbittlicher Langsamkeit spannte er die Melodiephrasen bis zum Zerreißen. Ein wahres Wechselbad bildete schließlich die Liszt-Sonate: Konzentrierte Versenkung und Zurücknahme standen neben metallisch krachenden Akkordballungen jenseits der Grenze zur Brutalität.

Nach dem letzten hingetupften Ton passierte dann etwas, was sonst nur noch selten in Konzerten geschieht: schier endlose Stille vor dem Einsetzen des Beifalls. Allein das gibt Pogorelich ohne Zweifel recht. (Daniel Ender, DER STANDARD, 31.3.2014)