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Gábor Vona, Parteichef der rechtsradikalen Jobbik, könnte laut jüngsten Umfragen 15 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen am Sonntag bekommen.

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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bei einer Wahlkampfveranstaltung des regierenden Bürgerbundes (Fidesz) am vergangenen Wochenende.

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Attila Mesterházy, Parteichef der ungarischen Sozialdemokraten (MSZP) und Spitzenkandidat der linken Wahlallianz "Regierungswechsel", sprach am Wochenende ebenfalls bei einer Wahlveranstaltung.

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Quelle: APA

Am kommenden Sonntag wählt Ungarn ein neues Parlament. Den Umfragen zufolge scheint klar zu sein, dass der rechtskonservative Bürgerbund (Fidesz) von Viktor Orbán weiterhin stärkste Kraft bleiben wird. Fraglich ist allerdings, ob er die Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Parlament halten kann. Die linksliberale Opposition hat sich im Jänner geeinigt, gemeinsam als Wahlallianz "Regierungswechsel" anzutreten. Stärkste Partei innerhalb dieses Fünf-Parteien-Bündnisses sind die ungarischen Sozialdemokraten (MSZP), deren Vertreter Attila Mesterházy auch zu dessen Spitzenkandidaten gekürt wurde. Eine Chance, die Regierung zu stellen, wird dem Oppositionsbündnis nicht eingeräumt. Die rechtsradikale Partei Jobbik wird Umfragen zufolge rund 15 Prozent der Stimmen bekommen. Eine etwaige Regierungsbeteiligung hat Jobbik bisher ausgeschlossen.

Melani Barlai, Politologin an der Andrássy-Universität Budapest, erklärt im Interview mit derStandard.at den Erfolg Orbáns und warum die rechtsradikale Partei Jobbik bei Jugendlichen besonders gut ankommt.

derStandard.at: Wie würden Sie den aktuellen Wahlkampf beschreiben?

Barlai: Es gab am Wochenende eine Veranstaltung des Oppositionsbündnisses, wo es aggressive Polemiken zu hören gab. Da wurde Orbán wirklich beschimpft. Orbán selbst hat bei seiner ebenfalls am Wochenende gehaltenen Rede keine Namen genannt. Es war also keine personifizierte Hasspolemik. Er hat – was von einer Regierungspartei zu erwarten ist – gelobt, was Fidesz in den vergangenen vier Jahren gemacht hat. Von der linken Opposition wurde Orbán mehrfach persönlich beschimpft. Allerdings war das im Vergleich zu 2010 noch milde. Damals hatten wir von allen Seiten sehr negative Wahlplakate, die es dieses Jahr auch bei den Linken gibt, allerdings nicht so stark, wie es sie damals von Fidesz gab. Auffallend ist, dass Jobbik dieses Jahr eine gemäßigte Kampagne fährt.

derStandard.at: Was hat Jobbik 2010 gemacht, und worauf verzichtet die Partei diesmal?

Barlai: Vor vier Jahren fuhr Jobbik mit dem Slogan "Ungarn ist nicht zu verkaufen" eine sehr stark nationalistische Polemik. Dieses Jahr betont sie auf  Wahlplakaten die Rolle der Familie. Auf dem Wahlplakat sieht man eine ganze Generation. Jobbik unterstreicht, sich für Arbeits- und Studienplätze einsetzen zu wollen, und nicht mehr, dass das Land "zurückzuerobern sei".

derStandard.at: Was ist die Ursache für den im Vergleich eher gemäßigten Jobbik-Wahlkampf?

Barlai: Sie haben gemerkt, dass sie mit dem radikalen Tonfall nicht bei enttäuschten Fidesz-Wählern punkten können. Bei den jungen Wählern und den Studierenden hat Jobbik sowieso eine Mehrheit. Das aktuelle Ziel ist allerdings, die Stimmen der Fidesz-Kritiker zu gewinnen.

derStandard.at: Warum bekommt Jobbik so viele Stimmen von jungen Wählern und Studierenden?

Barlai: Ein Grund für den Erfolg von Jobbik bei jungen Wählern ist deren antielitäre Haltung. Das spricht die Jugend sehr an. Jobbik verfolgt außerdem eine sehr professionelle Online-Strategie. Sie war die erste Partei, die stark im Netz und auch auf den Kanälen der sozialen Medien vertreten war. Das musste Jobbik bis zu einem gewissen Grad auch tun, weil sie als rechtsextreme Partei alternative mediale Flächen gebraucht hat. Dafür war das Internet geeignet. Jobbik hat sich ein subkulturelles, rechtsextremes Milieu im Netz geschaffen: Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen, Medien und auch Veranstaltern bis hin zu Kleidungs-Shops und rechtsextremen Bands. Darüber werden auch viele Jugendliche angesprochen.

derStandard.at: Gibt es ungarische Besonderheiten, die das Wahlverhalten beeinflussen?

Barlai: Ungarische Wähler sind weniger intensiv an politischen Themen interessiert. Sie beschäftigen sich im Vergleich mit westeuropäischen Wählern kaum tiefgehend mit politischen Themen. Das hat zur Folge, dass populistische Themen – egal von welchen Parteien – Wähler mehr ansprechen.

Ein weiterer Punkt ist, dass für den ungarischen Wähler der ungarische Staat alles regeln sollte. Hier wird eine Art Obrigkeitsgläubigkeit sichtbar – im Sinne von: "Der Staat macht das schon. Ich brauche mich damit nicht zu beschäftigen. Es reicht, wenn ich meine Stimme abgebe."

derStandard.at: Ist Orbán deswegen so erfolgreich, weil er mit diesen Bedürfnissen der Wähler sehr gut spielen kann?

Barlai: Orbán hat das schon 2010 erkannt und sich gleichsam vier Jahre darauf vorbereitet, das rechtzeitig zu kommunizieren. Orbán hat es auch geschafft, eine große Kohärenz innerhalb des Fidesz herzustellen. Interne Streitigkeiten sind nie zu hören, nach außen tritt Fidesz geschlossen auf. Das ist bei dem Wahlbündnis der Linken nicht der Fall. Abgesehen davon, dass man sich erst sehr spät auf ein gemeinsames Antreten bei den Wahlen oder den Spitzenkandidaten einigen konnte, gab es lange Zeit inhaltliche Differenzen zwischen den unterschiedlichen Parteien im Bündnis.

derStandard.at: Gibt es bei Orbán noch einen politischen Gestaltungswillen, oder geht es ihm überwiegend um den Machterhalt?

Barlai: Natürlich ist auch Orbán – wie jeder Politiker – ein Machtpolitiker. Aber es geht ihm auch um die Ideologie des Konservativismus. Er fährt auch einen nationalistischen Kurs, als Beispiel sei die Einbindung der Auslandsungarn erwähnt. Die Betonung des Nationalen hat auch im Fidesz-Wahlprogramm einen zentralen Stellenwert.

derStandard.at: Stimmt der Eindruck, Fidesz versuche, die Partei mit dem Land Ungarn gleichzusetzen und damit jegliche Kritik an der Regierung als Kritik an Ungarn vom Tisch zu wischen?

Barlai: Ja, das ist auch an den Wahlprogrammen und Wahlplakaten zu sehen, wo neben dem Fidesz-Logo auch immer die Nationalfarben Ungarns auftauchen. Bei Fidesz sind die Wörter, die neben Orbán am zweithäufigsten vorkommen, "Ungarn" und "ungarisch". Orbán betont auch immer wieder, dass die Zweidrittelmehrheit ihn dazu legitimieren würde, im Namen des Landes zu sprechen.

derStandard.at: Wie wird denn innerhalb Ungarns die zum Teil scharfe Kritik an der Orbán-Regierung wahrgenommen?

Barlai: Orbán selbst schadet die Kritik an ihm aus dem Ausland weniger. Er erzählt in Brüssel etwas anderes als zu Hause. Er kann sich in Ungarn sehr gut verkaufen, und wenn es darauf ankäme, dass er sich verteidigen müsste, würde er sagen: "Das sind die Brüsseler Bürokraten. Wir lassen nicht zu, dass wir als Kolonie behandelt werden." Damit relativiert er die Kritik und passt seine Politik dementsprechend an. (mka, derStandard.at, 31.3.2014)