Gemeinsam alt werden: Fühlen sich Pflegekräfte wohl, sind Patienten zufriedener, und es kommt zu weniger Komplikationen und Todesfällen. Die Realität sieht anders aus - Studien zufolge ist ein großer Teil des Personals ausgebrannt und hat bereits innerlich gekündigt.

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Jede Minute zählt, wenn die Hauskrankenpflegerin Kati Berger mit dem Auto ihre Runde dreht - das Programm am Handy zeichnet alles auf. Trotzdem: Sie bewahrt immer die Ruhe. Nimmt sich die Zeit, die demente Dame, die vergangene Nacht gestürzt ist, zu beruhigen und ihr beim Anziehen zu helfen. Hört sich die Klagen des Ehemannes einer Wachkomapatientin an. Ist nebenbei immer für einen Scherz zu haben, während sie ihre Patienten umlagert, wäscht, spritzt, versorgt und dabei jeden Schritt in einer Mappe dokumentiert.

Nach zehn Jahren im Lainzer Geriatriezentrum und elf Jahren in der mobilen Pflege hat Berger "alles erlebt" - und scheint dennoch nicht die Freude an ihrem Beruf verloren zu haben. Damit ist sie eher eine Ausnahme.

Zahlreiche Belastungsfaktoren

Arbeitstempo, Zeitdruck, eine angespannte Personalsituation, zwischen Morgen und Abend aufgeteilte Dienste, Gehälter, die oft nicht im Entferntesten der Ausbildung und Leistung entsprechen: Das sind laut einer im September 2013 veröffentlichten Studie aus Tirol die zentralen Belastungsfaktoren in den Pflegeberufen.

Dazu kommen körperliche, verbale und sexuelle Übergriffe, denen gerade mobile Pflegerinnen - der Männeranteil ist verschwindend - ausgeliefert sind. Zwar können Hauskrankenpflegerinnen relativ autonom und eigenverantwortlich arbeiten, sind aber oft zugleich Therapeutin, Bezugsperson und Ansprechpartnerinnen für jegliche Probleme. Ein zermürbender, oft unbedankter Job.

Die physischen und vor allem die psychischen Belastungen haben gravierende Folgen, wie eine Studie zur Arbeitszufriedenheit und -belastung in Gesundheitsberufen vom Dezember 2013 aufzeigt - ebenfalls in Tirol, im Auftrag der dortigen Arbeiterkammer. Demnach weisen 41 Prozent der rund 2500 befragten Fachkräfte eine Burnoutsymptomatik auf, vier Prozent seien bereits dem klinisch auffälligen Bereich zuzuordnen, heißt es.

Übergriffe

Emotionale Erschöpfung und sogenannte Depersonalisation, "die sich in Zynismus oder abwertenden Bemerkungen in Bezug auf Patienten äußern kann", sind weit verbreitet. Eine Verbesserung ist nicht in Sicht: Angesichts von Einsparungen, immer mehr Überstunden und Bürokratie rechnen 50 Prozent der Befragten mit einer Stagnation, 40 Prozent befürchten weitere Verschlechterungen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie der Sozialökonomischen Forschungsstelle SFS aus dem Jahr 2011. Im Auftrag der Arbeiterkammer wurden 80.000 Wiener und niederösterreichische Beschäftigte in Gesundheitsberufen befragt. Dabei zeigten sich besonders in der Bundeshauptstadt enorme Probleme. Etwa ein Viertel der Wiener Befragten leidet unter verbalen Übergriffen, ein Drittel unter kulturellen Differenzen und als "lästig" empfundene Patienten. In Niederösterreich lagen die Zahlen deutlich niedriger.

Internationale Studien haben längst belegt, dass das Wohlbefinden der Pflegepersonen mit der Zufriedenheit der Patienten korreliert und nicht nur zu einer niedrigeren Burnoutrate, sondern auch zu weniger Komplikationen und Mortalitätsraten bei den Gepflegten führt. Ist ein großer Teil der Pfleger aber ausgebrannt oder hat innerlich bereits gekündigt, liegt es nahe, dass Patienten nicht mehr die entsprechende Fürsorge zuteil wird oder sie schlicht vernachlässigt werden.

Eklatanter Personalmangel

Dabei ist es gerade diese Berufsgruppe, die schon jetzt höchst gefragt ist und in einer vergreisenden Gesellschaft eine noch viel tragendere Rolle spielen wird. Hilfsorganisationen beklagen bereits einen eklatanten Mangel an qualifizierten Pflegekräften. Der Begriff "Pflegenotstand" hat wieder Konjunktur. Große Nachfrage besteht laut AMS-Qualifikationsbarometer in der Altenpflege, in der Langzeitbetreuung und im stationären Bereich.

Derzeit gibt es etwa 100.000 professionelle Pflegerinnen und Pfleger in Österreich, viele davon gehen in den nächsten 15 Jahren in Pension. "Im Jahr 2020 werden wir 30.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigen", schätzt Walter Draxl, Direktor des Ausbildungszentrums West für Gesundheitsberufe.

"Es besteht dringender Handlungsbedarf", sagt auch Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. "Konkret geht es um den Ausbau des Entlassungsmanagements und der mobilen Hauskrankenpflege - dort haben wir vier Prozent Leistungssteigerungen jährlich." Allzu oft fehlen den Betroffenen die Informationen darüber, welche Möglichkeiten es gibt, wenn ein Pflegebedürftiger aus dem Spital entlassen wird - und vor allem, wie eine gute Versorgung zu Hause finanziert werden kann. Die Angebote und Kosten für ambulante Dienste unterscheiden sich zudem je nach Bundesland stark.

Versorgungslücken

"Es gibt nach wie vor Versorgungslücken", sagt Natalie Lottersberger, Geschäftsführerin des Malteser Care-Rings, der mobile Pflege anbietet. "Dabei geht es nicht nur um alte Menschen, sondern um pflegeaufwändige Fälle wie Kinder mit multiplen Erkrankungen oder chronisch Kranke."

Lottersberger plädiert wie viele andere Experten dafür, den Pflegesektor, der den sozialen Diensten zugeordnet wird und im Sozialministerium verankert ist, als Gesundheitsthema wahrzunehmen - und mit den entsprechenden finanziellen Ressourcen zu stärken. "Gute Pflege spart dem Gesundheitssystem viel Geld", betont Lottersberger.

Wie viel, hat die Wirtschaftsuniversität Wien in einer Studie aus 2012 errechnet: Demnach bringt jeder in mobile Pflege investierte Euro einen Gegenwert von 3,70 Euro. Der größte Profit entsteht für die Krankenhäuser, die etwa durch weniger Falschbelegungen 263 Millionen Euro einsparen könnten.

Volksbegehren

Rezepte für eine Aufwertung der Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger gibt es viele. Zu den wichtigsten gehören eine bessere Ausbildung, ein einheitlicher Kollektivvertrag und damit eine höhere Entlohnung - und eine Lobby: "Die Berufsgruppe ist sehr schwach", sagt Lottersberger. "Sie müsste viel mehr einfordern."

30 Prozent mehr Pflegegeld und 30 Prozent höhere Entlohnung will der Pflegeaktivist Klaus Katzinaka in einem Volksbegehren fordern. Bis Juni sammelt er Unterschriften dafür. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 1.4.2014)