Eine Sprachschlacht tobt in Österreich. In mehreren Zeitungsartikeln und Kommentaren der vergangenen Wochen kreuzten GegnerInnen und BefürworterInnen sogenannten "geschlechtergerechten Schreibens" erbittert die Wortklingen. So sehen die einen, etwa die Leiterin des Komitees zur Regelung des Schriftverkehrs, Walburg Ernst, in männlich-weiblichen Mischformen offenbar eine Sprachvermanschung und fragen nach der tatsächlichen Wirkung: "Großbuchstaben gibt es nur am Wortanfang oder bei durchgehender Schreibweise in Blockbuchstaben. Welcher Frau hat das Binnen-I zu einem besseren Job oder zu mehr Bezahlung verholfen?"
Entrüstet entgegnet die andere Seite, im gestrigen STANDARD vertreten durch die Philosophiedozentin Silvia Stoller, dass die Lösung ja wohl nicht darin bestehen könne, zu einer "eingeschlechtlichen Formulierung" zurückzukehren, "wobei mit dem 'einen' Geschlecht ausschließlich das männliche Geschlecht gemeint ist". Die Juristin Birgitta Winkler und die Kommunikationswissenschaftlerin Traude Kogoj verweisen dazu auf ein Experiment, bei dem Testpersonen bei dem Begriff "Romanhelden" überwiegend männliche Personen angaben, während bei der Frage nach "Romanheldinnen und -helden" auch Frauen genannt wurden.
Nachteil des Binnen-Is
Nun ist die Empörung über vermeintliche Rückschritte bei sprachlicher Gleichberechtigung verständlich. Das gilt allerdings auch für die sprachästhetische Position. Wie gerecht können Wörter sein? In der Fachdidaktik, bei der es um Unterricht, Tests und Schulentwicklung geht, ist es bei Bachelor- und Masterarbeiten zuweilen eine Herausforderung, "geschlechtergerecht" zu schreiben. Wenn auf jeder Seite einer Arbeit fünfmal "SchülerInnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer" aufscheint, liest sich das holperig und verlängert die Arbeit deutlich. Interessanterweise klagen darüber auch sehr viele Studentinnen (Achtung: hier ist wirklich nur das weibliche Geschlecht gemeint!). Das Binnen-I kann als praktikable Lösung angesehen werden. Allerdings hat diese Schreibweise einen Nachteil: Sie kann kaum "geschlechtergerecht" (hier auf die Diskriminierung des Mannes bezogen) vorgelesen werden, ohne den Eindruck des Stotterns zu erzeugen.
LuL und SuS
Bei deutschsprachigen Fachdidaktiktagungen und den entsprechenden Kurztexten in Tagungsbänden hat sich daher als Kompromiss seit einiger Zeit die Abkürzung "SuS" für "SchülerInnen und Schüler" durchgesetzt. "LuL" (für "Lehrerinnen und Lehrer") dürfte da nicht lange auf sich warten lassen. In internationalen Artikeln der Geisteswissenschaften und der Didaktik war übrigens früher meist von "she" und "her" die Rede, wenn es um SchülerInnen ging. Ob das Zuvorkommenheit (männlicher) AutorInnen oder die bewusste Sensibilisierung für die (weibliche) Sprachform war, ist schwer zu beurteilen. Seit einigen Jahren finden sich in englischen Aufsätzen zunehmend beide Formen: "he or she" und "his and her". Sprachliche Gleichberechtigung findet auf internationaler Wissenschaftsebene also statt – in beide Richtungen.
Sprache beeinflusst Denken
Aus der Perspektive des Bewusstmachens von Geschlechterrollen und möglicherweise vorurteilsbehafteten Ansichten über Berufe ist ein "geschlechtergerechtes Schreiben" vermutlich hilfreich. Wenn wir immer nur von "Naturwissenschaftlern" reden, könnten junge Mädchen denken, dass sie in Biologie, Chemie und Physik wohl kaum einen Platz finden werden – scheinen diese Berufsfelder doch männlich geprägt zu sein. Andererseits belegen zwar viele Untersuchungen, dass Kinder und Jugendliche sich den typischen Forscher als – eben! – männlich, im Laborkittel, mit Brille und leicht abgedreht vorstellen.
Auf die Interessenausprägung und spätere Berufswahl scheinen diese Vorstellungen und damit einhergehende Rollenbilder jedoch nur bedingt Einfluss zu nehmen. Eher sind es (tatsächlich geschlechtsspezifische?) Vorlieben bzw. nicht entsprechend aufbereitete Inhalte im Unterricht, die zu Interesse, Desinteresse oder gar Abneigung gegenüber bestimmten Fachgebieten führen. Die Rolle der LehrerInnen und deren individuelle Herangehensweise an Lehrplanthemen ist nicht nur beim Wissenserwerb (siehe Hattie-Studie) von außerordentlicher Bedeutung. Somit ist die geschlechtergerechte Sprache zwar empfehlenswert, dürfte aber nicht der Hauptgrund dafür sein, dass Studierende der Biologie in Österreich überwiegend weiblich und der Physik vor allem männlich sind, während man in der Chemie beide Geschlechter annähernd gleich vertreten vorfindet.
Dennoch: Mit der gleichberechtigten Ansprache beider Geschlechter nehmen wir Jungen und Mädchen und ihre Chancen in gleicher Weise ernst. Daher darf bei aller Sperrigkeit das Binnen-I beibehalten werden.
"Verfasser_innen"
Nur muss man davor warnen, dass die Sprache und ihre NutzerInnen immer mehr ausgegendert werden. Beim Lesen von Frau Stollers Artikel stolperte ich über das Wortgebilde "Verfasser_innen." Das erinnerte mich an ein Abendessen während einer Didaktikkonferenz im letzten Herbst. Dabei erklärte mir meine Tischnachbarin, dass die Unterstrichschreibweise Ausdruck dafür sei, dass es ja nicht nur Männer und Frauen gebe, sondern ein ganzes Spektrum dazwischen. (Ich habe die genaue Zahl vergessen, aber es waren gefühlte 58 Abstufungen.)
Sie meinte, bei dem Bild, das die Gesellschaft heute von Männern hätte, würde sich ein Mann, der mit einem Korb auf den Markt zum Einkaufen ginge, gar nicht als der klassische Mann verstehen können. Nun gehe ich durchaus oft einkaufen und bin trotzdem ganz zufrieden mit meiner Bezeichnung als "Mann". Denn "Mann" ist für mich, und hoffentlich auch für viele GendertheoretikerInnen, nicht automatisch "Macho".
Muss man alles berücksichtigen?
Sicherlich gibt es Männer und Frauen, die sich zum Teil mit dem anderen Geschlecht identifizieren. Aber muss man das in der Sprache nachbilden? Werde ich in Zukunft gezwungen sein, auch 76/24-Frauen (also solche mit 24% gefühltem Mann-Anteil) sprachlich nachzubilden? Und wenn nicht, muss ich mich dann dem Vorwurf aussetzen, sie zu diskriminieren? Vielleicht könnten wir da gleich ganz auf das Geschlecht verzichten, wie es einige meine KollegInnen in der Didaktik tun. Da gibt es keine Frauen und Männer mehr, nur noch "Menschen". (Leserkommentar, Uwe Simon, derStandard.at, 31.3.2014)