"Unerfreuliches ausmerzen": Richard Strauss redet 1934 als Präsident der "Reichsmusikkammer" an der Uni Berlin.

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Richard Strauss auf einem undatierten Archivbild.
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Strauss' oberster Dienstherr über zwei Jahrzehnte: Kaiser Wilhelm II.

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"War Richard Strauss ein Nazi?" Oder: "Wie viel Hitler steckt in Strauss?" So oder so ähnlich lauten die Fragen, die - vor allem, aber nicht nur deutsche - Journalisten im Jubiläumsjahr 2014 noch immer stellen. Wenn man sie nicht einfach beiseite schiebt, wie das so manche gern tun würden, fallen die Antworten darauf alles andere als leicht. Denn entschuldigen lässt sich sein Verhalten in den Jahren ab 1933 ebenso wenig, wie es ohne weiteres zu erklären oder gar zu verstehen ist.

Eines steht fest: "Seine Tätigkeit als Präsident der Reichsmusikkammer im Dritten Reich ... hat Strauss seinerzeit im Ausland und bis heute moralisch diskreditiert", wie Michael Walter bereits 2000 schrieb. Der Grazer Musikwissenschaftsprofessor betonte dabei auch, dass es sich bei Strauss' Engagement für Hitlers Propagandamaschinerie um "keine Marginalie seiner Biographie" handelte. Derart klare Worte waren in den Jahrzehnten nach dem Tod des Komponisten (1949) Mangelware. Systematisch wurde von den meisten Biographen sein Handeln im "Tausendjährigen Reich" beschönigt, relativiert oder zumindest teilweise verschwiegen.

Noch in einer deutschen Biographie von 1994 wird der "Klangzauberer" Strauss pauschal als "unpolitisch" und "naiv" beschrieben. Es war zunächst vor allem englischsprachigen Forschern und Forscherinnen vorbehalten, hier genauer hinzusehen und ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Tim Ashley hielt etwa in seiner Biographie im letzten Strauss-Gedenkjahr 1999 fest, dass es so etwas wie "unpolitische" Kunst während des Dritten Reiches schlichtweg nicht geben konnte. Und der Politologe und Opernspezialist Udo Bermbach bezeichnete im selben Jahr (im lesenswerten Sammelband "Wer war Richard Strauss?", Insel-Verlag) das Verhalten des Komponisten sogar als "eminent politisch".

Dennoch gehört das Klischee vom "Unpolitischen" noch immer zum gängigen Strauss-Bild, ebenso wie die Vorstellung, er habe seine Aufgaben im NS-Staat nur gezwungenermaßen erfüllt und sei in späteren Jahren beim Regime überhaupt unerwünscht gewesen. Zu solcher Legendenbildung hatte Strauss selbst mehrere Steilvorlagen geliefert, wenn er etwa nach Kriegsende während seines Entnazifizierungsverfahrens behauptete, er habe niemals Propaganda für die Nationalsozialisten betrieben, sei vielmehr zum Reichsmusikkammer-Präsidenten ernannt worden, ohne vorher überhaupt gefragt worden zu sein - eine Mär, die noch immer durch die Strauss-Literatur geistert.

Aber der Reihe nach: Nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten Anfang 1933 ließ Strauss, unangefochtene Nummer eins unter den lebenden deutschen Komponisten und knapp 69 Jahre alt, keinerlei Berührungsängste mit dem neuen Regime erkennen. Im Gegenteil suchte er bald den Kontakt zur neuen Führungsriege und zeigte unmissverständlich seine Bereitschaft, dem Kulturleben auch unter radikal veränderten Vorzeichen zur Verfügung zu stehen. Besonderes Aufsehen erregte sein Einspringen für Bruno Walter bei dessen geplantem Dirigat der Berliner Philharmoniker im März, an dem der ungeliebte Kollege unter Gewaltandrohung gehindert worden war.

Es waren zwar zwei Parteimitglieder der NSDAP, die Strauss dazu brachten, den prominenten Lückenbüßer zu spielen. Die politische Symbolkraft dieses Akts konnte oder wollte er aber nicht erkennen. Auf heftige Angriffe vor allem aus dem Ausland stilisierte er sich seinerseits als selbstloses Opfer, da er schließlich nur "dem Philharmonischen Orchester zuliebe" und ohne Honorar dirigiert habe. Auch als im Sommer 1933 Arturo Toscanini seine Mitwirkung bei den Bayreuther Festspielen - nach wirkungslosen Protesten gegen antisemitische Diskriminierungen - absagte, sprang Strauss in die Bresche und übernahm die dortigen "Parsifal"-Vorstellungen.

Sein Einsatz sollte Früchte tragen: In einer Opernpause wurde er von der Festspielleiterin, Richard Wagners Schwiegertochter Winifred, zu Hitler geleitet und legte dem "Führer" seine Ideen zur Reformierung des Musiklebens ans Herz. Mit Propagandaminister Joseph Goebbels wurden die Pläne konkreter diskutiert. Wann genau sich herauskristallisierte, dass der Komponist an die Spitze der "deutschen Musikerschaft" treten sollte, liegt bis heute im Dunkeln. Der Strauss-Experte Walter Werbeck vermutete 2006 sogar, dass "Strauss mit hoher Wahrscheinlichkeit sich selbst als möglichen ,Führer' der deutschen Musik ins Gespräch gebracht" habe.

Wie dem auch sei: Es gab vor seiner Ernennung zu diesem "Ehrenamt" nicht nur intensive Kontakte zur Parteispitze, sondern Strauss wurde auch telegrafisch angefragt - und er stimmte auf demselben Wege zu. Und zum Festakt anlässlich der Gründung der Reichsmusikkammer am 15. November 1933 in der Berliner Philharmonie erklang nicht nur sein in diesem Zusammenhang wie ein Bekenntnis deutbares Lied "Zueignung", sondern Strauss dirigierte auch sein "Festliches Präludium". Das hatte er zwar bereits zur Eröffnung des Wiener Konzerthauses 1913 komponiert, mit seinem äußerlichen Pomp passte es aber genau zu den ästhetischen Vorstellungen der Nationalsozialisten.

Wenige Wochen darauf notierte Strauss' Schwiegertochter Alice in ihr Tagebuch: "Papa eine Stunde bei H (Hitler): Pläne über Bayreuth, Projekt fürs Theater, Festl. Präludium soll nur für festliche Regierungsanlässe gespielt werden, alle Machtbefugnisse, größtes Vertrauen." Dementsprechend arglos klingt die weihnachtliche Widmung, mit der der Komponist Joseph Gregors "Weltgeschichte des Theaters" "dem edlen Freunde und Förderer des Theaters, Herrn Reichskanzler Adolf Hitler verehrungsvoll überreicht(e)."

Aus jenen Auseinandersetzungen, die aus dem Hause Strauss überliefert sind, spricht freilich eine andere Haltung: Offenbar hat der Patriarch mit seiner "hochpatriotischen" Gemahlin Pauline als auch mit seinem Sohn Franz zuweilen deutlich skeptisch über das Regime gesprochen. Seiner Frau gegenüber nahm er die neue Rolle des Reichsmusikkammer-Präsidenten mit Ironie, bezeichnete sich als "großes Tier" und fand das Ganze "zum Lachen!".

Dies hinderte ihn freilich nicht daran, in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft eine Reihe von Reden zu halten, die kaum systemkonformer hätten sein können. Darin wird - ebenso wie in einer Reihe von Briefen - deutlich, wie Strauss versuchte, seine eigenen Ideen wie das Zurückdrängen der Operette und ausländischer Opern, aber auch allgemeine Qualitätsverbesserungen von der Musikerausbildung bis zu Kurorchestern durchzusetzen. Sprachlich erwies er sich als überaus anpassungsfähig, wenn er etwa beim "1. deutschen Komponistentag" am 18. Februar 1934 in Berlin die "Ausmerzung jener höchst unerfreulichen Erscheinung, dass ererbtes Kulturgut gewerbsmäßig ausgeschlachtet und jämmerlich verschandelt wird", forderte.

Dass er am Ende desselben Jahres auf eine "Kulturrede", in der Goebbels "atonale Musiker" und "misstönende Dissonanzen eines musikalischen Nichtkönnens" geißelte, telegrafisch mit "begeisterter Zustimmung" reagierte, entsprach inhaltlich dem, was Strauss über Neue Musik auch bei anderer Gelegenheit äußerte. Dennoch war hier wohl auch das Kalkül im Spiel, seine Position beim Propagandaminister zu festigen, der ihm bereits seinen Rücktritt nahegelegt hatte. Denn der anfängliche Schulterschluss war inzwischen beiderseitiger Ernüchterung gewichen, zumal weder die Machthaber geneigt waren, die hanebüchenen Ideen des "Meisters" zu verwirklichen, noch Strauss sich damit begnügen wollte, nur seinen Namen für das Regime herzugeben, und stattdessen auf unbeschränkter Autorität beharrte.

1935 warteten die Pläne, ihn aus seinem Amt zu entfernen, somit nur noch auf einen Anlass, als die Uraufführung der Oper Die schweigsame Frau bevorstand. Gegenüber seinem Librettisten Stefan Zweig - laut Eigendefinition "Jude aus Zufall" - hatte Strauss in seiner notorisch wankelmütigen, zugleich manipulativen Weise zuvor erst die Kulturbeflissenheit der "neuen Regierung" gelobt. Als Zweig jede weitere Arbeit für eine deutsche Bühne ablehnte, versuchte der Komponist ihn damit zu beschwichtigen, dass der nationalsozialistische Spuk in wenigen Jahren vorbei sein würde.

Mitte Juni schrieb er ihm in einem weiteren Brief, er würde das Amt des Reichsmusikkammer-Präsidenten nur "mimen", und zwar "um Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewusstsein! Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerreiche Ehrenamt angenommen." Das Schreiben, in dem Strauss auch noch die Rassenpolitik und das "Arierprinzip" durch den Kakao zog, wurde von der Gestapo abgefangen - und bildete einen dankbaren Vorwand, um Strauss in seiner offiziellen Funktion loszuwerden. Als er bei der Premiere Anfang Juli noch durchsetzte, dass um jeden Preis der Name des Dichters auf dem Theaterzettel genannt wurde, wäre das womöglich gleich der nächste Anlass gewesen. "Wir werden's ohne Eclat machen", hielt Goebbels dennoch in seinem Tagebuch fest.

Dass für den erzwungenen Rücktritt "gesundheitliche Gründe" vorgeschoben wurden, war nur folgerichtig. Denn der Propagandaminister wusste genau, dass Strauss als "unser größter und wertvollster repräsentativer Musiker" zu gelten hatte. Obwohl er ihm einen "ganz windigen Charakter" zuschrieb, ihn später als "Geschmeiß" und "volksgerichtsreif" bezeichnete, schwärmte er vielfach über die Musik und zeigte sich etwa über die 1936 entstandene Olympiahymne in salopper Weise begeistert: "Komponieren kann der Junge."

Ohne Zweifel war Strauss - trotz seines vielfach eigensinnigen Mangels an Geschick - in ähnlicher Weise in der Lage, mit ungerührtem Pragmatismus die Vorteile, die er in der Nazidiktatur genoss, mit anderen Faktoren gegenzurechnen. Als einer der ersten hat ausgerechnet Zweig in seinen Memoiren Die Welt von Gestern versucht, sich in die Motivationen des Komponisten hineinzudenken: "Bei seinem Kunstegoismus, den er jederzeit offen und kühl bekannte, war ihm jedes Regime innerlich gleichgültig. Er hatte dem deutschen Kaiser gedient als Kapellmeister und für ihn Militärmärsche instrumentiert, ... war aber ebenso in der österreichischen und deutschen Republik persona gratissima gewesen. Den Nationalsozialisten besonders entgegenzukommen, war außerdem von vitalem Interesse für ihn, da er in nationalsozialistischem Sinne ein mächtiges Schuldkonto hatte."

Damit sprach Zweig sowohl Strauss' jüdischen Verleger Fürstner als auch seinen wichtigsten Librettisten an, den "nicht rein arischen" Hugo von Hofmannsthal - sowie die Schwiegertochter Alice, die ebenso Jüdin war. Ihre Familie wurde vom Regime verfolgt, während sie selbst zusammen mit Ehemann und Kindern gleichfalls Bedrohungen ausgesetzt war. Wesentlicher als diese durchaus reale Gefahr, die seine Handlungen nur zum geringeren Teil ansatzweise begreiflich machen können, scheinen freilich seine biografische Vorgeschichte und seine Persönlichkeit.

Ausgesprochen autoritär erzogen und selbst mit ausgeprägten dominanten Zügen, die er hinter einer freundlichen Maske verbergen konnte, die aber auch in seinen legendären Wutausbrüchen zum Ausdruck kamen, war insbesondere seine Sozialisation im Reich von Kaiser Wilhelm II. für Strauss prägend. Als Hofkapellmeister war es für ihn selbstverständlich, stets seine eigene Machtstellung zu behaupten und selbst dem Herrscher gegenüber eine kesse Lippe zu riskieren. Der spätere Literaturnobelpreisträger Romain Rolland hielt eine Aussage von Strauss fest, man habe ihm prophezeit, er werde deswegen eines Tages seinen Kopf verlieren.

Doch waren es gerade die Freiheiten, die ihm seine Position in der Monarchie bot, die neben seinen bahnbrechenden Erfolgen als Komponist und Dirigent sein Selbstbewusstsein derart verfestigten, dass ihm alle Anfeindungen spätestens seit der Salome kaum noch etwas anhaben konnten. Als "Klassiker zu Lebzeiten" apostrophiert, konnte er aus Berlin 1918/19 praktisch nahtlos in die Direktion der Wiener Staatsoper wechseln. Und er durfte sich als derart wichtige Person fühlen, dass sich der österreichische Staat in der Zwischenkriegszeit zu einem Tauschgeschäft durchrang, das Strauss - zunächst als Erbpacht, dann im Eigentum - gegen zwei Opernpartituren und einhundert honorarfreie Dirigate an der Staatsoper einen Baugrund im Areal des Belvedere einbrachte.

Dass er unter diesen Umständen nur wenig Realitätsbezug entwickelte, liegt auf der Hand und mag auch seine offene Ablehnung der Demokratie ein klein wenig nachvollziehbarer machen. So zog er 1912 anlässlich des Auslaufens der 30-jährigen Schutzfrist für Wagners Parsifal, nach der das Bühnenweihefestspiel auch außerhalb Bayreuths gespielt werden konnte, "das blöde allgemeine Wahlrecht" in den Schmutz, was ihm vielfachen Spott und Hohn einbrachte. Und 1928 notierte der Schriftsteller und Mäzen Harry Graf Kessler nach einem gemeinsamen Frühstück, bei dem auch Hofmannsthal - peinlich berührt - dabei war, dass Strauss von der "Notwendigkeit einer Diktatur" gesprochen habe. Kessler ergänzte allerdings, dass diese "drolligen politischen Ansichten" von niemandem ernst genommen worden seien.

Durch seine schiere Prominenz konnte der "Generalmusikdirektor von Europa", wie ihn der Musikkritiker Richard Specht nannte, jederzeit offene Türen bei Staatsoberhäuptern sowie den Ministerien aller Regierungen erwarten. Und er fühlte sich stets als Angehöriger einer künstlerischen Elite und sah sich als den Politikern überlegen an. Das mag seine verheerende Fehleinschätzung der Nazis ansatzweise erklären, mit denen er teils erschreckend freundschaftlich verkehrte - etwa mit Reichsstatthalter Baldur von Schirach, der ihn 1941 abermals nach Wien holte, wo Strauss bis 1944 blieb. Oder mit Hans Frank, der ihn bei seinen kapriziösen Sonderwünschen unterstützte, die Villa in Garmisch von Einquartierungen ausgebombter Landsleute frei zu halten. "Sehr fein! Sehr kultiviert!" sei der Generalgouverneur des besetzten Polen, einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, gewesen, habe Strauss gesagt. Das berichtete zumindest Klaus Mann, der inkognito für die US-Militärzeitschrift The Stars and Stripes nach Kriegsende ein Interview mit ihm führte - eine Rache dafür, dass Strauss 1933 den "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" mitunterzeichnet hatte, der Auslöser für die Emigration seines Vaters Thomas Mann gewesen war?

Es gab auch Stimmen, die für Strauss günstiger waren. Der Schweizer Diplomat Hans Zurlinden, der in den 1940er-Jahren Generalkonsul in München war, schrieb in seiner Eidesstattlichen Erklärung im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens, das schließlich mit dem Spruch "Nicht betroffen" zu Ende ging: "Ich kann bezeugen, dass während der letzten zwanzig Jahre kein Deutscher ... in giftigeren und vernichtenderen Worten zu mir über die Hitlerei gesprochen hat, als Richard Strauß. ..." Auch wenn sich die Widersprüche in Strauss' Biografie und seinem Verhältnis zum Dritten Reich nicht auflösen lassen, spricht einiges dafür, dass aus seinem Verhalten mehr bewusstes Augenverschließen als harmlose Naivität spricht. Ein überzeugter "Nazi" war er aber wohl ebenso wenig wie "unpolitisch". (Daniel Ender, Album, DER STANDARD, 5./6.4.2014)