An diesem Wochenende wird in Ungarn gewählt. Star-Fotograf Tibor Bozi hat ungarische Intellektuelle porträtiert und über die aktuelle Situation ihres Landes befragt

Judit Csatlós (36)

Das ohnehin kleine Land Ungarn hat kaum noch eine Mittelschicht. Dank der Orbán'schen Gesetze und der schlechten wirtschaftlichen Lage sinkt auch das Interesse an Kunst und Museen. Die Leiterin des Kassak-Museums startete die Initiative "Die Stadt gehört allen" in Form einer Organisation in Budapest, die Obdachlose zu Museumsführungen einlädt, um diesen Menschen zu mehr Selbstwertgefühl zu verhelfen. Die Aktion ist sehr erfolgreich, die Teilnehmerzahlen steigen stetig.

Foto: Tibor Bozi

Róbert Alföldi (45)

Der Intendant des ungarischen Nationaltheaters wurde im Juli 2013 über Nacht entlassen. Offizielle Begründung: keine. Viele Schauspielerkollegen verließen aus Protest mit ihm das Theater. Nach seiner letzten Vorstellung wurde er von den Zuschauern frenetisch gefeiert. Die Orbán-Verwaltung wollte den kritischen Alföldi kleinmachen, aber die Sache ging nach hinten los. Aus ihm wurde ein Held. Beim Treffen im als intellektuell geltenden Restaurant Dunapark, sagte er so laut, dass es auch alle an den benachbarten Tischen hören konnten: "Diese politischen Speichellecker verraten sich und ihre Haltung schon für 400.000 Forint pro Monat (rund 1400 Euro, Anm.)" Nach kurzer Stille um uns herum stehen die ersten auf und bitten ihn um ein Autogramm. Ein Mann, vom dem wir noch viel hören werden.

Foto: Tibor Bozi

Tibor Horváth (38)

Der Künstler ist der neue Liebling der Kunstkritiker und Art-Magazine des Landes. Und sein Feinbild seht fest: Viktor Orbán und dessen politisches System. Das beflügelt ihn zu unglaublichen Ideen und Aktionen. Auf Facebook kann jeder seine "rot-weiß-grünen Wahrheiten" lesen. Im Atelier steht schon der für V. O. angefertigte Sarkophag. Sein Atelier, von einem der wenigen ungarischen Mäzene zur Verfügung gestellt, liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des verhassten 83-jährigen erzkonservativen Fekete, den Orban im März 2013 installiert hatte, um die nationale Kunst "zu erneuern" und von den Modernen zu bereinigen. Dem bisher kaum bekannten Künstler unterstehen jetzt alle Museen und Künstler. Die Chancen Tibor Horváths, in Ungarn öffentlich ausgestellt zu werden, liegen derzeit bei null. Dafür hat er umso mehr Einladungen aus dem Ausland.

Foto: Tibor Bozi

 

Endre Koronczi (45)

Weder die Natur noch das urbane Umfeld sind vor seinen meist in Schwarz-Gelb gehaltenen Aktionen sicher. Auf www.koronczi.hu sind alle Projekte des Aktionskünstlers dokumentiert. Seine Art, die Dinge zu betrachten, war auch 2012 bei der Gruppenausstellung Was ist echt ungarisch zu sehen, die Ungarns Machthabern trotz Publikumserfolgs nicht gefiel. Der gnadenlose Spiegel, der den Politikern vor die Nase gehalten wurde, erntete nur kalten Wind aus dem Parlament. Zeitgenössische Kunst ist für die Führung des Landes irrelevant.

Foto: Tibor Bozi

Bori Péterfy (45)

Die Sängerin und Schauspielerin verließ aus Protest das Nationaltheater. Viele folgten ihrem Beispiel. Jetzt tourt sie mit ihrer Band Péterfy Bori & Love Band durch Ungarn. Eine Frau mit Charisma: "Ich brauche auf der Bühne nicht zu politisieren. Es singen ohnehin alle meine Texte immer mit, darin steckt alles. Die sind politisch genug".

Foto: Tibor Bozi

Emma Krasznahorkai (19)

Emma wurde zum "Gesicht der Märzdemonstrationen", bei denen Studenten gegen die Änderung des Grundgesetzes demonstrierten. Das Bild ihrer Verhaftung, auf dem Polizisten sie wegtrugen, ging durch Print- und Onlinemedien. Die Studentin gründete die Organisation TETT (die Tat, Anm.), die auf Facebook gegen Homophobie, Rassismus und Diskriminierung im Land kämpft und Petitionen veröffentlicht. Sie sagt: "Unsere Generation muss sich politisch einmischen, sonst sind wir bald verloren."

Foto: Tibor Bozi