Ginge es nach der Lehrerinitiative für cooperatives offenes Lernen, sollten Frida und ihre Freunde in der Schule im Fokus sein: "Das Lernen gehört den Kindern."

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"Das Allerproblematischste ist, dass der Lehrerberuf so ein Einzelkämpferjob ist", sagt Georg Neuhauser.

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STANDARD: Was hat Sie als Lehrer am meisten gestört, dass Sie sich sagten, dann mach ich mir die Schule so, wie ich sie besser finde?

Neuhauser: Vor allem die Lebensferne in der Schule. Ich habe das Gefühl gehabt, die Schule lebt in einem eigenen Raum und wenig in Verbindung mit der Wirklichkeit. Darum widmen wir uns in der Initiative Cool - "Cooperatives offenes Lernen" - stark der Öffnung der Schule. Ich habe gemerkt, wie starr der Unterricht abläuft, und war selber in dieser Falle gefangen. Aber das Allerproblematischste war für mich, dass der Lehrerjob ein derartiger Einzelkämpferjob ist. Das tut der Schule, der Entwicklung von Pädagogik, den Kindern und vor allem uns Lehrern nicht gut. Darum wollten wir etwas anders machen. Es geht nicht um eine individuelle Veränderung, sondern um gemeinsame Wege in Richtung einer neuen Schule.

STANDARD: 1996 schritten Sie mit Kollegen zur Tat und verordneten sich und Ihrer Schule "Cool" als Therapie. Was ist in Cool-Klassen anders als in "uncoolen"?

Neuhauser: Das Entscheidende ist die Kooperation der Lehrer. Diejenigen, die in einer Klasse unterrichten, treffen sich regelmäßig, was in jedem anderen Betrieb ziemlich normal ist, wenn Leute zusammenarbeiten an einem Projekt. Cool hat eine neue Kommunikation und Reflexionskultur in die Schule gebracht. Auch zwischen den Schülern begann eine neue Kultur der Kooperation. Wir schaffen freie Lernräume, damit sie selbstständig und eigenverantwortlich und eben kooperativ, also gemeinsam, an Arbeitsaufträgen, die wir als Lehrer gemeinsam entwickeln, arbeiten können.

STANDARD: Wie haben Sie die Lehrerrolle neu definiert?

Neuhauser: Der Lehrer ist so etwas wie ein Impulsgeber, aber auch ein Coach, ein Begleiter im Lernprozess. Das Lernen gehört den Schülern. Wir wollen den Fokus vom Lehren weg zum Lernen richten. Die Kinder und das Lernen der Kinder müssen im Fokus sein.

STANDARD: Wie muss man sich die Kooperation der Cool-Lehrer vorstellen? Jetzt ist die Klasse ja quasi eine Blackbox, was dort passiert, kriegen die Kollegen nicht mit.

Neuhauser: Die Klassenlehrerteams verstehen sich als gemeinsam an einem Projekt - dem Projekt Klasse - Arbeitende. Dazu kommt noch die Community-Ebene. Wir verstehen uns als eine Art Community of Practice in der Schule, die auch andere zuschauen lässt, wie sie arbeitet, und auch offen ist für Entwicklungen.

STANDARD: Wie viele Schulen und Lehrer bzw. Schüler sind denn jetzt im Cool-Netzwerk beteiligt?

Neuhauser: Derzeit sind in Österreich mehr als 70 Schulen Cool-zertifiziert. Wir verleihen diese Zertifikate auf drei Jahre. Auch in den deutschsprachigen Nachbarländern sind wir bereits präsent. Darüber hinaus gibt es mindestens noch einmal doppelt so viele - es werden ungefähr 150 bis 200 Schulen sein -, die diesen Ansatz in Österreich weiterentwickeln und durchführen. Nicht nur berufsbildende Schulen wie am Anfang, sondern vor allem auch Neue Mittelschulen und auch ansatzweise, aber leider noch immer viel zu wenige Gymnasien.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Eltern in Ihrem Schulkonzept?

Neuhauser: Die Eltern sind für uns wichtige Partner im Lernprozess. Wir nehmen in der Schule ja nur einen Ausschnitt der Schülerpersönlichkeit wahr. Da ist die Einbindung der Eltern zentral, weil es bei dieser neuen Art der Unterrichtsarbeit in die Selbsttätigkeit ja wirklich um Verantwortungsübergabe geht. Die Cool-Initiative kommt aus der Dalton-Plan-Pädagogik, die nicht nur ein Lernansatz ist, sondern das hat etwas mit Erziehung zu Selbstständigkeit, Eigenverantwortung, mehr Gemeinschaftlichkeit und Kooperation zu tun. Elternarbeit heißt da: immer eine offene Tür zu haben für sie, um Schule mitzugestalten.

STANDARD: Sie haben ein "Netzwerk von IndividualisierungsberaterInnen" - was machen die?

Neuhauser: Cool ist eine Individualisierungsinitiative in dem Sinn, dass wir jeden Schüler dort abholen, wo er oder sie steht. Da geht es um die Frage, welche Methoden dienen dazu, Kinder und Jugendliche in ihrem Lernprozess möglichst optimal individuell zu begleiten. Das Thema Individualisierung ist ja ein großes, auch vom Ministerium her, aber die Lehrer und Schulen haben oft wenig Vorstellung davon, wie das denn ginge.

Es gibt ja die Vorstellung, dass man einfach jeden Schüler einzeln unterrichtet. Das ist es natürlich nicht. Wir glauben, dass es entscheidend ist, Raum zu schaffen für individuelle Lernprozesse in dem Sinn, dass Schüler auch gemeinsam mit anderen Schülern kollegial lernen. Da spielt der Raum auch eine große Rolle. Als Individualisierungsberater überlegen wir auch, wie wir Lernräume gestalten, dass sich Kinder für gewisse Phasen auch individuell zurückziehen können, um in kleinen Gruppen, aber auch allein an gewissen Dingen zu arbeiten.

STANDARD: Sie vertreten eine Schulsparte, die in der öffentlichen Debatte fast nicht vorkommt: die berufsbildenden Schulen. Gehen die im Kampf für oder gegen Gesamtschule bzw. Gymnasium unter?

Neuhauser: Sie gehen viel zu viel unter. Wir wissen, dass die meisten Maturanten aus den berufsbildenden Schulen kommen, aber in der öffentlichen Diskussion geht es immer nur um die AHS. Das finde ich schade. Das entspricht nicht der Realität, weil es gerade die berufsbildenden Schulen sind, die international sehr positiv wahrgenommen werden und hohe Wertschätzung erfahren.

STANDARD: Die Initiative Cool bietet auch ein Weiterbildungsprojekt zum Thema "Haltung" an. Welche Haltung wollen Sie den Lehrerinnen und Lehrern dabei vermitteln?

Neuhauser: Wir sind daraufgekommen, dass es für eine Veränderung des Unterrichts zu mehr Effizienz, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung nicht nur um Methoden geht. Die wurden über Jahre überschätzt. Entscheidend ist die Haltung. Unser Projekt "Haltung", das wir mit der Uni Salzburg durchführen, zielt zuerst darauf ab, wie wir als Lehrer im Unterricht agieren.

Ich bin ja überzeugt, dass die Lehrerpersönlichkeit von entscheidender Bedeutung ist. Daran ist zu arbeiten. Man kann noch so toll behaupten, wie wichtig Kooperation ist, wenn ich sie selbst nicht lebe in der Schule, dann wird es nicht glaubwürdig rüberkommen. Wenn Schulleitungen nicht mehr Eigenverantwortung leben und sich immer ducken unter dem Diktat der Obrigkeit, dann werden sich die Schüler auch nur ducken und den Weg des geringsten Widerstands gehen. Es ist das Grundübel an der Schule, dass die Fremdbestimmung so groß ist, dass Kreativität und Lernen tatsächlich nur sehr begrenzt stattfinden können.

STANDARD: Was wünschen Sie sich von der Politik?

Neuhauser: Wir sind gerade in der Situation, dass das offizielle Budget für das Cool-Impulszentrum vom Unterrichtsministerium um 30 Prozent gekürzt wird. Im Prinzip geht es nur um Stunden für zwei vollbeschäftigte Lehrer, die wir auf sieben Mitarbeiter aufteilen. Wir arbeiten aber auf vielen Ebenen, sind international anerkannt, und dann werden genau solche Initiativen gekürzt.

Das ist so absurd, dass ich mir denke, da hat niemand auch nur irgendetwas verstanden. Denn wir, die Cool-Lehrer, sind die Übersetzer, die Transformatoren des ganzen theoretischen Wortgeklüngels in die Realität der Schule. Da sollte auch investiert werden. Ich weiß schon, dass eingespart werden muss, aber dass wir alle, auch in den Schulen, unter der Hypo-Geschichte, die für mich der Skandal des Jahrhunderts ist, leiden müssen, ist absurd, aber leider auch sehr offensichtlich. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 7.4.2014)