
Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Schwarzer Flieder", Hoffmann und Campe 2014, 240 Seiten, € 20,60
Wien - "Bis ins siebte Glied" büßt man für die Sünden der Väter, so hat es Ferdinand Goldberger in einem Heft verzeichnet und der Bibel beigelegt. Mit dieser Drohung sind seine Nachkommen auf dem Traunviertler Bauernhof konfrontiert. Denn der alte Goldberger war ein Nazi, Ortsgruppenführer. Diese Tatsache überschattet die Geschicke der nachfolgenden Generationen.
In Schwarzer Flieder erzählt Reinhard Kaiser-Mühlecker die im vorangegangen Roman Roter Flieder entwickelte Geschichte der Goldberger'schen Bauerndynastie weiter. Im Mittelpunkt steht der Urenkel mit gleichem Namen, Ferdinand Goldberger, der längst eine ganz und gar versprengte Generation markiert. Der Betrieb, auf den sich aus näherer und größerer Entfernung markante Lebensentscheidungen beziehen, wird am Ende kaum mehr wiederzuerkennen sein. Eine Auslöschung vollzieht sich, vom Familieninneren herrührend.
Doch dramatisch legt es Kaiser-Mühlecker nicht an. Der 32-jährige, in Eberstallzell aufgewachsene Schriftsteller pflügt mit biblischer Schwere und Langsamkeit durch die Familiengeschichte. Auch eine gewisse, die Schicksalhaftigkeit nicht mindernde, leidenschaftslose Gravität ist seinem Schreiben nicht fremd; man wird dieses immer wieder in Beziehung setzen zu seinem grandiosen und in seiner lapidaren Purheit überzeugenden Debüt Der lange Gang über die Stationen (2008).
In vier großen Kapiteln bewegt sich der Protagonist Ferdinand, Anfang dreißig, auf den Traunviertler Bauernhof zu. Zunächst von Wien aus, wo er nach einem Studium an der Boku einem Job im Landwirtschaftsministerium nachgeht. Aus der Ruhe entwickeln sich unerwartete Begebenheiten. Wie beiläufig passiert das Leben. Dieses Vertrauen in die undramatische Seite des Daseins ist Kaiser-Mühlecker eigen. Ferdinand trifft seine erste große Liebe, Susanne, wieder. Sie wollen heiraten, überlegen, nach Rosental zu ziehen, wo sein Onkel und dessen Frau mitsamt dem Neffen den Hof bewirtschaften. Doch alles kommt anders.
Fremdländischer Alkohol
Ferdinand geht nach Bolivien. Dort sucht er nach den Spuren seines Vaters Paul, den er nie kennengelernt hat, der hier gestorben ist und in La Unión begraben liegt. Es geht auch um das Durchdrungenwerden von der Fremde, das Aufsaugen der Hitze und des fremdländischen Alkohols, darum, die eigene Vergangenheit abzuschütteln. Mit gewohnt stiller Zuwendung schildert Kaiser-Mühlecker die Eigenheiten der bolivianischen Natur sowie die Begebenheiten in Santa Cruz und auf dem Gut Los Cielos.
Reinhard Kaiser-Mühleckers erschütternd ernster Tonfall, der sich vehement von der Spaßprosa seiner Schriftstellergeneration abhebt, und der hier auf die einfachste Art und zugleich mit der Bedeutsamkeit eines Gebets Absatz für Absatz den Endpunkt der Bauerndynastie ansteuert, wirkt vielfach Wunder. Sein Schreiben verleiht jedem szenischen Pathos (Hinsinken am Grab des Vaters) seine Gültigkeit.
Und selbst als eine böse Nachricht wiederum biblischen Zuschnitts den jungen Mann nach Österreich und auf den Hof zurückruft, behält der stille Fluss dieses familiären Abgesangs seine entschiedene Bahn. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 8.4.2014)