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Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung hatte heftige Proteste hervorgerufen

Foto: dapd/Zak

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kippt die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Er begründet dies damit, dass auch ohne Informationen über den Gesprächsinhalt durch Verbindungsdaten "sehr genaue Rückschlüsse" auf das Privatleben von Personen geschlossen werden können. Dies sei ein "schwerwiegender Eingriff der Richtlinie in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten." 

"Grenzen überschritten"

Der EuGH kritisiert, dass Vorratsdaten genutzt werden, ohne dass Betroffene darüber informiert werden. Hier wurden "die Grenzen überschritten", die der Gesetzgeber "zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten" müsse. Bemängelt werden zusätzlich die Überwachung aller Bürger und die lasche Definition "schwerer Straftaten", für deren Aufklärung Vorratsdaten genutzt werden können. Zudem wird die Dauer der Vorratsspeicherung kritisiert, ebenso wie die nicht eindeutige Festlegung des Ortes, an dem Daten gespeichert werden und der theoretisch auch außerhalb Europas liegen kann.

Generalanwalt sah ähnliche Kritikpunkte

Bereits im Gutachten des EU-Generalanwalts Pedro Cruz Villalón letzten Dezember wurden diese Punkte kritisiert. Villalón plädierte für kürzere Speicherfristen und schlug eine schärfere Definition "schwerer Straftaten" vor. Außerdem sollen Bürger, so Villalón, informiert werden, sobald ihre Daten herausgegeben wurden.

Österreich als Nachzügler

Die Vorratsdatenspeicherung wurde aufgrund einer 2006 beschlossenen EU-Richtlinie eingesetzt, die zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet wurde. Österreich galt lange als Nachzügler, hier trat die Vorratsdatenspeicherung erst im April 2012 in Kraft. Sie sieht vor, dass Handy- und Internetdaten von den Providern gespeichert werden, die Speicherdauer variiert zwischen einzelnen EU-Ländern. In Österreich beträgt sie sechs Monate.

Einsatz im Kampf gegen Zigarettenfälscher

Im ersten Jahren ihres Bestehens wurden Vorratsdaten genau 326-mal eingesetzt, hauptsächlich aber für die Aufklärung von Delikten wie Stalking, Diebstahl, Raub, der "verbotenen Herstellung von Tabakwaren" und Suchtgifthandel. Auf Ersuchen eines anderen EU-Staates wurden österreichische Vorratsdaten ein einziges Mal gegen eine terroristische Vereinigung eingesetzt, laut Ermittler allerdings ohne relevante Folgen. Dies ging aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung hervor - den Fragenkatalog an das Justizministerium hatte der grüne Mandatar Albert Steinhauser eingebracht. Laut orf.at soll bis jetzt insgesamt 675 Mal auf Vorratsdaten zurückgegriffen worden sein.

Wenig effektiv

Die Vorratsdatenspeicherung gilt unter Kritikern als wenig effektiv, die selten nachgewiesenen Fahndungs- oder Präventionserfolge würden massive Eingriffe in Grundrechte nicht rechtfertigen. In Österreich hatten ein Angestellter eines Telekom-Unternehmens, 11.000 Privatpersonen und die Kärntner Landesregierung unter dem damaligen FPÖ-Landeshauptmann Dörfler gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt. Diese Klage wurde vom Verfassungsgerichtshof an den EuGH weitergereicht, auch der irische High Court hatte einen Fall an den europäischen Gerichtshof übermittelt.

Deutschland für Datenspeichern

In Deutschland wurde die Vorratsdatenspeicherung 2006 eingeführt, seit 2010 liegt sie jedoch auf Eis, da das Bundesverfassungsgericht sie für unzulässig erklärt hatte. Die derzeitige deutsche Bundesregierung befürwortet allerdings Datenspeicherung und hat angekündigt, nach dem EuGH-Urteil ein neues Gesetz verabschieden zu wollen. Der deutsche Justizminister Heiko Maas will die Speicherfrist laut "Zeit" auf drei Monate verkürzen.

Verfassungsgerichtshof "zufrieden"

Der Verfassungsgerichtshof hat jetzt die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung auf die österreichische Regelung u. a. im Telekommunikationsgesetz zu prüfen. Nachdem die zugrunde liegende EU-Richtlinie aufgehoben ist, stellt sich die Frage, ob die Regelungen zur Umsetzung in Österreich verfassungskonform sind. Die EU-Richtlinie ist laut EuGH-Aussendung bereits ungültig: "Da der Gerichtshof die zeitliche Wirkung seines Urteils nicht begrenzt hat, wird die Ungültigerklärung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der EU-Richtlinie wirksam." Der VfGh ist "zufrieden", dass seinen Bedenken vom EuGH gefolgt wurde.

Reaktionen

Die Entscheidung des EuGH hat zahlreiche positive Reaktionen nach sich gezogen. Der grüne Nationalratsabgeordnete Steinhauser kündigte an, bei der nächsten Plenarsitzung einen Antrag auf Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung einzubringen. Die Umsetzung einer neuen Richtlinie sei "ein steiniger Weg", so Steinhauser auf Twitter, das eröffne Chancen für Bürgerrechte. Auch der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Joe Weidenholzer sieht sich laut einer Aussendung in seiner "ablehnenden Haltung zur Vorratsdatenspeicherung bestätigt." Der FPÖ-Telekomsprecher Gerhard Deimek spricht von einem "bedeutenden Sieg der Grundrechte".

Bundesregierung und EU-Kommission wollen "analysieren"

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) soll sich indes die Entscheidung ansehen, "ob und wie wir betroffen sind", erklärte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) nach dem Ministerrat am Dienstag. Für Verkehrsministerin Bures ist eine Rücknahme der Gesetze "gut vorstellbar". Auch die EU-Kommission will die Folgen der Aufhebung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zunächst analysieren. Es gehe auch um eine Einschätzung der Auswirkungen dieser Entscheidung des EuGH, erklärte am Dienstag ein Sprecher von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Konkrete Antworten könnten derzeit keine gegeben werden. (fsc, derStandard.at, 8.4.2014)