Als "neue Berliner Mauer" wird der Fluss Dnjestr von TV-Journalist Paul Mason im "Guardian" schon bezeichnet. Er trennt die Republik Moldau von ihrer abtrünnigen Provinz Transnistrien. Er trennt den Westen vom Osten. Und er trennt die Moldauer von den Einwohnern Transnistriens, die sich zum großen Teil russisch fühlen; seit der Angliederung der Krim-Halbinsel an Russland mehr denn je.

Die jüngsten Eskalationen in der Ostukraine, der Sturz der Regierung in Kiew, Russlands neue Vorherrschaft auf der Krim - all das stellt auch die Bewohner Transnistriens, die formal immer noch zur Republik Moldau gehören, aufgrund ihrer unmittelbaren Nachbarschaft vor Zukunftsfragen. Woran orientiert man sich, wenn plötzlich Ukrainer und Russen zu Gegnern werden und Moldau ein Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet?

Russland hat keinen direkten Zugang zu Transnistrien. (Karte: CC BY-SA 3.0/User: TUBS)

Zumindest derzeit sind Gespräche, die zu einer Reintegration Transnistriens in die Republik Moldau hätten führen sollen, wieder auf Eis gelegt. Der nächste Termin der Verhandlungen mit der Ukraine, Moldau, Russland und der OSZE am 10. und 11. April wurde von transnistrischer Seite abgesagt. Ein Statement des transnistrischen Parlamentssprecher Jewgeni Schewtschuk lässt darauf schließen, dass Transnistrien nicht mehr über einen gemeinsamen moldauischen Staat sprechen will. "Im Grunde genommen hat er zu Moldau gesagt: Wenn ihr zur NATO oder EU wollt, werden wir euch nicht zurückhalten, aber wir werden in eine andere Richtung gehen", sagt Dmitri Trenin, Leiter des Carnegie Center in Moskau, zu derStandard.at. Die Richtung ist eindeutig: nach Russland. 

Militärparade in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens. (Foto: APA/EPA/Stringer)

In der Vergangenheit wurden schon eine Reihe russischer Gesetze adaptiert und 2006 ein Referndum abgehalten, bei dem 97,1 Prozent der Stimmen für eine Beibehaltung der Unabhängigkeit und eine künftige Eingliederung in Russland waren. Das Referendum wurde zwar letztlich von keinem Staat der Welt anerkannt, aber die Mehrheit in Transnistrien will nach wie vor Teil von Russland werden. Vor wenigen Wochen hat die transnistrische Führung Moskau darum gebeten, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Eingliederung zu schaffen.

Isolation führt zum Konflikt

Das würde sich jedoch denkbar schwierig gestalten. Denn der transnistrische Landstreifen ist nur von der Republik Moldau und der Ukraine umschlossen. Einen Meereszugang gibt es nicht. Derzeit ermöglicht die Ukraine Transnistrien den Zugang zur Außenwelt über den Hafen von Odessa, auch ukrainisches Staatsgebiet kann durchquert werden, um die Kommunikation mit Russland aufrechtzuerhalten. Doch die Umstände haben sich in den vergangenen Monaten stark geändert. "Je schlechter die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine werden, desto unhaltbarer werden die Zugeständnisse an Transnistrien", sagt Dmitri Trenin. Sollte die Ukraine ihre Einstellung zu Transnistrien ändern und es als separatistische Region bezeichnen, die eigentlich zur Republik Moldau gehört, wäre der Weg in die Isolation geebnet. "Wenn Transnistrien von beiden Seiten isoliert wird, kann man dort auf jeden Fall einen Konflikt erwarten", prognostiziert Trenin. 

Lenin-Statue vor dem Parlamentsgebäude Transnistriens. (Foto: APA/EPA/Stringer)

1.500 russische Soldaten sind derzeit in Transnistrien stationiert. In den vergangenen Tagen wurden die Grenzkontrollen auf ukrainischer Seite verschärft. Russland spricht schon von einer Grenzblockade, ukrainische Behörden bestreiten das. Da Russland keinen direkten Zugang zu Transnistrien hat, könnte die Situation abermals in der Ukraine selbst eskalieren: "Odessa könnte zu einem Brennpunkt werden, denn über die Stadt läuft der Zugang zu Transnistrien", vermutet Trenin. Die Situation ähnelt jener auf der Krim, nur dass Transnistrien eben von Land umschlossen ist.

Ein offensichtliches Interesse, die Beziehungen mit Transnistrien zu intensivieren, gibt es von russischer Seite derzeit nicht. "Aber Moskau hat Transnistrien immer sehr unterstützt. Zusätzlich verfolgt Moskau ja nun die Politik, alle Menschen, die sich russisch fühlen, zu vereinen", erklärt Trenin. Obwohl die ethnische Zusammensetzung der 500.000 Transnistrier sehr heterogen ist - je ein Drittel ist russisch, moldauisch und ukrainisch -, fühlen sich die allermeisten davon russisch. Das russische Identitätsverständnis eint sie laut Trenin: "Man darf das nicht wörtlich nehmen. Der Unterschied zwischen Russen und Ukrainern ist oft sehr klein."

Ärmste Region in Europa

Die transnistrische Bevölkerung sieht sich mit der Unterstützung Russland auf einem besseren Weg als Moldau, das nach mehr als 20 Jahren Orientierung am Westen immer noch eines der ärmsten Länder Europas ist. Ein Drittel der Arbeitskräfte arbeitet deshalb im Ausland. In Transnistrien hingegen sind die Pensionen höher, die Benzinpreise niedriger. Trotz organisierter Kriminalität und zahlreicher Menschenrechtsverletzungen gibt es kein Interesse, sich Europa zuzuwenden. Ein Umstand, der nach der Angliederung der Krim wieder offen zutage tritt.

Grenzkontrollen zwischen der Ukraine und Transnistrien. (Foto: Reuters/Stringer)

Dmitri Trenin erklärt die 5+2-Gespräche mit Transnistrien für tot: "Sie werden vielleicht formal weitergeführt werden. Aber in der Realität ist das alles Geschichte." Der Schlusspunkt unter die mühsam geführten Verhandlungen mit Transnistrien in den vergangenen Jahren könnte eine Eskalation in Gang setzen, die Transnistrien zu einem weiteren Konfliktherd auf der Landkarte von Ost gegen West macht. "Wenn die Beziehung Transnistriens mit Moldaus Hauptstadt Chisinau bricht, wird es Unruhen geben", prophezeit Trenin. (Teresa Eder, derStandard.at, 9.4.2014)