Bild nicht mehr verfügbar.

Schwierige Reformen könnten schon bald Manuel Valls' Popularität schmälern. 

Foto: Reuters/Platiau

Antrittsreden französischer Premierminister sind mehr als eine Stilübung: Sie tragen oft schon den Keim zukünftigen Gelingens - oder Scheiterns. Jacques Chaban-Delmas rief 1969 eine "neue Gesellschaft" aus; ebenso Pierre Mauroy 1981 eine neue Verstaatlichungswelle. Edith Cresson verpatzte hingegen ihren Einstand 1991, und Jean-Marc Ayrault verlor sich 2012 in langwierigen Erklärungen zur 75-Prozent-Steuer von François Hollande.

Am Dienstag war Manuel Valls an der Reihe. Der zweite Premier von Präsident François Hollandes Gnaden soll der Linksregierung nach ihrer Schlappe bei den Gemeindewahlen neue Energie vermitteln. "Zuviel Leiden, zu wenig Hoffnung - das ist die Lage Frankreichs", deklamierte er in einer kurzen, aber mitreißenden Rede.

Im Rahmen von Hollandes "Pakt der Verantwortung" will er Firmenabgaben für Mindestlohnempfänger streichen, andere niedere Einkommen ebenfalls steuerlich entlasten. Das bedingt eine Sparanstrengung von 50 Milliarden Euro. Doch betrifft das auch Beamte, Gesundheitsausgaben und Pensionen? Keine Antwort.

Denn dem Premier sind die Hände gebunden: Vor den EU-Wahlen im Mai kann er die Wählerschaft der Sozialisten, nicht vergrätzen. In der Partei rumort es hörbar: Am Wochenende forderten hundert sozialistische Abgeordnete - ein Drittel der Parteifraktion - eine "europäische Neuausrichtung, die der Austeritätspolitik ein Ende bereitet". Vergangene Woche hatten sich schon die Grünen aus der Regierung zurückgezogen, da sie Valls als zu "rechts" und zu wenig umweltbewusst erachten. Am Dienstagabend überstand der Premier die Vertrauensabstimmung mit 306 zu 239 Stimmen gefahrlos. Doch er ist gewarnt.

Druck von links und rechts

Unter Druck gerät er paradoxerweise auch von rechts, wo der populistische Front National betont sozial auftritt. Parteichefin Marine Le Pen verschreit Valls als "Liberalen". Der Premier versprach, er werde keinen Austeritätskurs verfolgen. Die von Berlin hart kritisierte Defizitpolitik werde er in Brüssel "besser erklären".

Auch wenn Hollande den neuen Kurs der Steuer- und Abgabensenkung unterstützt, wäre es dem Präsidenten nur recht, wenn sich der ehrgeizige Neo-Premier an den Kastanien, die er für ihn aus dem Feuer holen soll, gründlich die Finger verbrennen würde.

Noch genießt er Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung; dieser kann aber rasch bröckeln, wenn die Regierung etwa bei der bisher sakrosankten Sozialversicherung zu kürzen beginnt. Alles in allem muss Valls mit großer Vorsicht zu Werke gehen. Er hat nicht eine Machtbasis, wie sie Matteo Renzi in Italien, genießt, um Reformen durchzuführen. Zumindest bis zu den Europawahlen wird er die schwierigsten Pläne daher in der Lade belassen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 9.4.2014)