Im niederösterreichischen Heinrichs hängt eine Gedenktafel für Engelbert Dollfuß. In der Gemeinde ist eine Debatte ausgebrochen, die Tafel soll bleiben, die Inschrift geändert werden.

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Heinrichs/St. Pölten – Mit der Idylle im niederösterreichischen Heinrichs ist es vorerst vorbei. Schuld ist eine Gedenktafel neben dem Eingangstor der Kirche. Gewidmet ist sie Engelbert Dollfuß, dem, wie zu lesen ist, "Erneuerer Österreichs".

Die Aufregung war groß, nachdem der STANDARD darüber berichtet hatte – und Bürgermeister Otmar Kowar entsprechend aufgebracht: "Wenn in Wien eine Straße umbenannt wird, mischen wir uns auch nicht ein", sagt er. Zahlreiche Reaktionen habe er erhalten, mündlich aus dem Ort, schriftlich aus ganz Österreich. Der Tenor: Die Gedenktafel solle erhalten bleiben.

Bürgermeister: "Tafel hat nie jemanden gestört"

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird hier Dollfuß' gedacht, hinterfragt hat die Gedenktafel bisher niemand. "Sie war so lange dort und hat nie jemanden gestört", sagt Kowar, der nun seine Bürger über den Grund für diese Heldenverehrung informieren will. Schließlich sei ja "das Wissen über diese Zeit marginal". Noch vor dem Sommer will er eine Diskussionsveranstaltung organisieren, bei der ein Historiker über die Zeit des austrofaschistischen Ständestaats und die Person Engelbert Dollfuß aufklären soll. Denn gerade von jungen Menschen sei er oft gefragt worden: "Hallo, wer war das überhaupt?"

Heinrichs hat längst nicht das einzige steinerne Zeugnis der Dollfuß-Verherrlichung. Die Historikerin Lucile Dreidemy hat sich für ihr im Herbst erscheinendes Buch "Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen" auf Spurensuche in Österreich begeben: "Ich selbst habe rund 20 Tafeln, Marterln und Kapellen gefunden, die ihm gewidmet sind. Aber es gibt sicher noch mehr. Auch in den Lagern, etwa der Stadt Wien, findet sich wohl noch einiges", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Anders als in dem kleinen niederösterreichischen Ort würden sich dort "Initiativen bilden, welche die Frage aufwerfen, was mit diesen zu hinterfragenden Spuren des Gedenkens passieren soll".

Diözese will Kruckenkreuz entfernen

Spät, aber doch macht sich auch die Gemeinde Heinrichs Gedanken. Eine "Hauruck-Aktion" schließt der Bürgermeister aus. Alarmiert reagierte die für die Kirche zuständige Diözese St. Pölten auf den Fund. Diözesankonservator Wolfgang Huber wurde losgeschickt, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Gemeinsam mit Kowar, Vertretern der Pfarre und einem Vertreter des örtlichen Kameradschaftsbunds einigte man sich, die Tafel prinzipiell zu erhalten. Als bedenklich werden nur der Text "Erneuerer Österreichs" und das abgebildete Kruckenkreuz angesehen. Ein Kompromiss wurde schnell gefunden: Das Kreuz kommt weg, die Inschrift wird durch den Satz "Opfer für die Souveränität Österreichs gegen den Nationalsozialismus" ersetzt. "Sinngemäß", wie man anfügt.

Ob dann noch eine Zusatztafel kommt, ist sich Bürgermeister Kowar nicht sicher. Doch auch diese Lösung findet Historikerin Dreidemy nicht optimal. "Ich stehe dem sehr kritisch gegenüber", sagt sie, "denn auf den ersten Blick scheint diese Lösung ein tauglicher Kompromiss zu sein. Sehr schnell zeigt sich aber, dass eine solche Erklärtafel nicht ausreicht, um aus einer Verehrung ein neutrales Dokument der Geschichte zu machen."

Als Beispiel dafür nennt sie die Wiener Pfarre Neufünfhaus: "Da steht dieses riesige Denkmal, und daneben hängt eine vergleichsweise kleine Tafel. Es scheint eher das Diskretionsgebot schlagend geworden zu sein und nicht der aufklärerische Ansatz." Für sie ist die beste Lösung, "all diese Gedenksteine und -tafeln zu sammeln und gemeinsam als vielfaches Zeichen für den Dollfuß-Kult auszustellen".

Für den Bürgermeister von Heinrichs ist es in erster Linie wichtig, dass ortsintern über den Verbleib der Tafel entschieden wird. Trotzdem sei dem Großteil der Bevölkerung die Tafel "ziemlich wurscht". (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, derStandard.at, 9.4.2014)