Der bis dato weitgehend unbekannte, nichtsdestotrotz atemberaubende US-Elektronikpionier Charles Cohen gastiert am 2. Mai beim Donaufestival in der Kremser Minoritenkirche.

Foto: Morphine

Wien/Krems - Charles Cohen aus Philadelphia war in grauer Vorzeit eigentlich Jazzmusiker mit Hang zur radikalen Improvisation. An versöhnlichen Tagen klang das nach freundlichem Sun Ra. Wenn Cohen aber einen Gitzi hatte, tönte es wie ein über sein Klavier menschlich enttäuschter Cecil Taylor. Aus dieser Zeit ist kaum etwas überliefert. Der US-Musiker weigerte sich bis dato meist mit Erfolg dagegen, diese Improvisationen auf Tonträger zu veröffentlichen. Cohen arbeitete lieber live für Tanz, Performance, Theater. Die Musik wurde zwar aufgenommen, aber für das Archiv. Freies Spiel bedingt, dass man nicht zurückschaut. Sonst gräbt man sich den Boden unter den Füßen weg.

Ab 1972 kannte ihn die Welt außerhalb der losen Avantgardezirkel zwischen Philadelphia, Baltimore und New York, in denen er sich bewegte, zwar immer noch nicht. Charles Cohen kaufte aber damals einen der nur in minimaler Auflage hergestellten "Buchla Music Easel"-Synthesizer. Diese waren in den 1960er-Jahren von US-Techniker Don Buchla gemeinsam mit dem einflussreichen, heute 81-jährigen Elektronikpionier Morton Subotnick (Silver Apples Of The Moon) entwickelt worden. Ein Gegenentwurf zum parallel ungleich populärer werdenden Moog-Synthesizer, versuchte der Buchla-Synthesizer erst gar nicht, andere Instrumente wie etwa ein Klavier nachzumachen. Ein heute kaum noch ohne Waffengewalt erhältlicher Buchla beschränkt sich in seiner nicht leicht zu handhabenden Konstruktion in Handgepäckgröße darauf, immer nur einen einzigen, dafür aber eigenständigen Sound machen zu können. Dafür muss man allerdings genau wissen, wo man wann und wie an den Reglern dreht. Kein Wunder, dass der kommerzielle Erfolg dieses Zauberkastens gegen null ging.

Lustiges Geklingel

Die Klänge und Geräusche aus dem Buchla sind zwischen Pingpongball-Geklacker und Reisen in den Weltraum mit Dampfmaschinenraketen oder dem summenden Gesang der Planeten angesiedelt. Sie wirken dank ihrer Unvergleichlichkeit und Wärme bis heute so unverwechselbar, dass Jahrzehnte und etliche Entwicklungsschübe bis hin zum Alleskönner Klappcomputer später mittlerweile die alten Modelle wieder nachgebaut werden. Willkommen in der seltsamen Welt von Männern mit eigenartigen Hobbys und Leidenschaften!

Die Zeiten gingen ins Land. Charles Cohen improvisierte weiter fürs Theater und bei Performances. Er arbeitete gelegentlich mit jüngeren Elektronikmusikern zusammen. Sein Archiv wuchs. Er experimentierte mit Tonbandschlaufen und Rhythmus.

Irgendwann gelangte eine seiner seltenen Schallplatten in Berlin auf die Plattenteller eines todschicken DJs und sorgte für Begeisterung im Partyvolk.

Damals war auch der in Berlin lebende Libanese Rabih Beaini dabei. Als Morphosis produziert er selbst elektronische Clubmusik, auf seinem Label Morphine Records bringt er es auf den Markt, meist exklusiv auf Vinyl.

Die Chemie stimmte nach der Kontaktaufnahme offenbar, Cohen überließ Beaini sein gesamtes Archiv. Dieser sondierte, bearbeitete, edierte. Einige Veröffentlichungen später, darunter etwa Cohens "Hit" Dance Of The Spiritcatchers oder die Werkschau Music For Dance And Theater, wird Cohen mittlerweile auf Festivals gefeiert. Die aus der Zeit gefallene Musik ist so auch erstmals live in Österreich zu erleben.

Mit ihren warm fließenden Ambientsounds, rhythmisch-freundlichen Strukturen und jeder Menge Gezische, Faxgerät-Geräuschen oder lustigem Geklingel, wie es heutzutage längst aus den Taschentelefonen kommt, sind die Klangwelten des Charles Cohen definitiv einer der frühen Höhepunkte beim heurigen Donaufestival in Krems. Früher Höhepunkt auch deshalb, weil Cohen mit seinen bald 70 Jahren lieber schon am Nachmittag auftritt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 10.4.2014)