Linz - Die Bilder sind auch nach sechzig Jahren nicht verloschen. Und mit Beginn der Karwoche werden die Erinnerungen immer besonders präsent. Walter Höll blickt mit versteinerter Miene auf das gewaltige Dachsteinmassiv: "Der Lehrer hatte noch seinen Hut auf, und der Schüler war nur mit einer Stoffhose bekleidet - ihre Hände waren bereits abgefroren, und zwischen den beiden lag noch ein angebissenes Stück Brot."
Einzigartige Rettungsaktion
Es war eines der wohl dramatischsten Ereignisse der österreichischen Bergsteigergeschichte: Am Gründonnerstag des Jahres 1954 wurde der Krippenstein eisiges Grab für zehn Schüler und drei Lehrer aus dem deutschen Heilbronn. Der Obertrauner Walter Höll war damals 21 Jahre - und ist heute der älteste noch lebende Teilnehmer der umfangreichsten Suchaktion in der Geschichte des österreichischen Alpinismus. 500 Gendarmen, Bergrettungsmänner und unzählige Freiwillige suchten damals nach den Vermissten und gerieten dabei selbst an die Grenzen des Erträglichen. "Innerhalb weniger Stunden hat es auf dem Berg zwei Meter Neuschnee gegeben - und dazu der Nebel. So einen extremen Wettersturz habe ich nachher nie wieder erlebt", erzählt Höll im STANDARD-Gespräch.
Rückblende in das Jahr 1954: Die Spuren des Krieges sind auch in Heilbronn noch deutlich, trotzdem herrscht inmitten der Trümmerfelder so etwas wie Aufbruchstimmung. Eine Stimmung, die auch den Lehrer Hans Georg Seiler erfasst haben muss, als er mit einer vierzigköpfigen Gruppe der Heilbronner Knabenmittelschule zu einem Urlaub nach Obertraun aufbricht, um den Nachwehen des Kriegs für kurze Zeit zu entfliehen. Seiler dürfte der magischen Wirkung des Dachsteins sofort erlegen sein, kurz nach der Ankunft plante er einen Marsch auf den Krippenstein.
Zehn Schüler wurden ausgewählt, und die Lehrkräfte Hans Werner Rupp, seine Verlobte Christa Vollmer sowie Hildegard Mattes schlossen sich als Begleitpersonen an. Mattes sollte später als Einzige das Unglück überleben, da sie nach zwei Stunden Fußmarsch umkehrt. Am 15. April 1954 bricht die Gruppe vom Bundessportheim in Obertraun auf, doch schon nach kurzer Zeit verschlechtert sich das Wetter. Mehrere Warnungen von Einheimischen schlägt Gruppenführer Seiler in den bereits eisigen Wind und denkt nicht an eine Umkehr. Am Abend desselben Tages gelten alle Beteiligten als vermisst.
Keine Gedenkfeier
Die Gruppe wird zunächst in einer Schutzhütte vermutet; als die ersten Retter dort eintreffen, ist sie leer. Auch in den folgenden Tagen kehren die Suchtrupps immer wieder allein zurück. Erst am 24. April dann das erste traurige Ergebnis: Das Brautpaar Hans Werner Rupp und Christa Vollmer wird erfroren aufgefunden.
Es vergehen aber noch Wochen, bis alle Opfer entdeckt sind. Am 28. Mai findet man die letzten Vermissten: Hans Georg Seiler und der Schüler Rolf Mößner, eng umschlungen in einer Schneemulde.
In der kleinen Gemeinde Obertraun hat man sich heuer aber bewusst gegen eine offizielle Gedenkfeier entschlossen. Bürgermeister Egon Höll: "Das 50-jährige Gedenken war ein würdiger Abschluss für die Gemeinde. Aber wir haben das Filmprojekt natürlich unterstüzt." (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 11.4.2014)