Zdenek Zeman: "Totti sieht den nächsten Spielzug vor allen anderen."

Foto: Jakob Rosenberg

Inhalte des ballesterer Nr. 91 (Mai 2014) – seit 11. April im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk!

SCHWERPUNKT: FRANCESCO TOTTI

DER EWIGE KAPITÄN
Totti ist die Roma, und die Roma ist Totti

"ICH SPIELE AUS LEIDENSCHAFT"
Francesco Totti über die Liebe der Fans und seinen nahenden Abschied

DIE TREUESTEN
Die ballesterer-Weltauswahl der Spieler, die ihr Trikot nie wechseln

Außerdem im neuen ballesterer:

RUSSISCHES ROULETTE

Fußball auf der Krim, Spielball der Politik

VERÄNDERTE LANDKARTE

Artem Frankow über den Machtwechsel in der Ukraine

"ES GEHT ANS EINGEMACHTE"
Die Rettungsmission der Vienna-Fans

KEINE ZUKUNFT OHNE STADION
Der Wiener Sportklub wartet auf die Bagger

PROFESSOR GASSLER
Emotionen auf der Friedhofstribüne

KÄMPFEN FÜR SHOWAN
Die Allianz gegen schwedische Neonazis

KONFLIKT GELÖST
Warum die Bayern-Fans wieder singen

NACH DEM URTEIL
Rafael Buschmann über den Hoeneß-Prozess

SAUFEN WIE EIN KATHOLIK
George Best und die nordirischen Loyalisten

LOST GROUNDS
Das entweihte Maracana

DIE SONDE DER GESCHICHTE
Germanist Klaus Zeyringer über sein neues Buch

"SOLIDARITÄT IST WICHTIG"
Schwedens Teamchefin Pia Sundhage im Interview

TRAINER, KEINE CHIRURGEN
Ralf Peter über die DFB-Trainerausbildung

AUSWÄRTSSEKTORCHECK
Planungsfehler in Graz-Liebenau

TAKTIK TOTAL
Red Bulls Gegenpressing

VOM RIVALEN VERDRÄNGT
Im Stadion Pasienky von Bratislava

KRAFTWERK
Im Bullen-Bus nach Basel

GROUNDHOPPING
Schonkost an der Cold Blow Lane 

DR. PENNWIESERS NOTFALLAMBULANZ
Das Seitenstechen

Foto:

Um Zdenek Zeman ist es im letzten Jahr still geworden. Bei der Roma steht er noch bis Ende Juni unter Vertrag, die Mannschaft trainiert er aber schon seit Februar des Vorjahres nicht mehr. Zwischen 1997 und 1999 saß der gebürtige Tscheche das erste Mal auf der Trainerbank der Römer und verhalf dem jungen Francesco Totti zum Durchbruch. Unter Zeman lief Totti erstmals mit der Nummer zehn auf, unter ihm wurde er Kapitän. Als Zeman im Sommer 2012 noch einmal zur Roma zurückkehrte, war Totti noch immer dort. Mehrfach hat der für sein bedingungsloses Offensivspiel berühmte Trainer betont, dass der Römer sein absoluter Lieblingsspieler sei, dem ballesterer erklärt er in einem kleinen Café im Norden Roms, warum.

ballesterer: Sie haben auf die Frage nach den fünf besten Spielern in der italienischen Liga einmal geantwortet: "Totti, Totti, Totti, Totti und Totti." Würde Ihre Antwort heute immer noch so ausfallen?

Zdenek Zeman: Nein, aber es ist normal, dass ein 37-jähriger Spieler nicht mehr dasselbe leisten kann wie ein 20-Jähriger. Das Alter macht selbst vor Totti nicht halt, aber er ist auch heute noch der wichtigste Spieler der Roma.

Wann ist Ihnen Totti zum ersten Mal aufgefallen?

Zeman: 1996, als ich noch Lazio trainiert habe. Roma hat im UEFA-Cup gegen Slavia Prag gespielt, Totti hat einen Pass über 30 Meter auf Francesco Moriero gespielt, der nur noch das Tor treffen musste. Im Jahr darauf bin ich zur Roma gegangen, dort hat er mir bewiesen, dass er über außergewöhnliche Gaben verfügt.

Wie würden Sie Totti jemandem beschreiben, der ihn nicht kennt?

Zeman: Man muss Totti einfach kennen. Als ich noch bei Lazio war, haben alle schlecht über ihn geredet. Sie haben gesagt, dass er nicht trainieren will und ständig simuliert. Bei der Roma habe ich dann schnell gemerkt, dass er nicht nur ein großartiger Spieler ist, sondern auch ein wunderbarer Mensch.

Was macht ihn zu diesem großartigen Spieler?

Zeman: Totti sieht den nächsten Spielzug vor allen anderen. Während andere Spieler nur sich selbst und den Ball sehen, hat Totti sich selbst, den Ball, die Mitspieler und die Gegner im Blick – also das ganze Feld von den Toren bis zur Trainerbank.

Ist er der stärkste Spieler der italienischen Nachkriegszeit?

Zeman: Italien hatte in der Zeit, die ich miterleben konnte, drei außergewöhnliche Spieler: Gianni Rivera, Roberto Baggio und eben Totti. Diese drei waren in der Lage, in einem Spiel den Unterschied auszumachen – nicht nur in Italien, das hätten sie in jeder europäischen Liga gemacht.

Was bedeutet Totti für die Stadt und speziell für die Roma-Fans?

Zeman: Er ist hier geboren und aufgewachsen, er hat auf den kleinen Römer Plätzen Fußball spielen gelernt. Als er zur Roma gegangen ist, wurde er ein Teil des Klubs. Jetzt repräsentiert er die Stadt. Und Rom – vielleicht mit Ausnahme der Lazio-Fans – ist ihm immer sehr nahegestanden. Wenige Spieler mit seinem Talent und seinen Fähigkeiten bleiben ihrer Mannschaft immer treu. Er hat viele Möglichkeiten gehabt zu wechseln. Zu Klubs, die mehr Titel gewinnen. Er ist immer geblieben.

Haben Sie Totti jemals nahegelegt, Verein zu wechseln?

Zeman: Als Real ihn haben wollte, hat er mich gefragt, was er machen soll. Ich wollte mich dazu nicht äußern, auch weil ich den Jungen kenne: Er ist seiner Familie, seinem Umfeld und seiner Stadt sehr verbunden. Allerdings hätte er im Ausland auch eine ganz andere Wertschätzung erfahren. In diesen 21 Jahren bei der Roma hat er zwar immer eine gute Mannschaft gehabt, eine richtig starke aber nur in höchstens drei Jahren. Er hat nur selten um die Meisterschaft oder einen Europacuptitel mitspielen können.

War es richtig, dass er geblieben ist?

Zeman: Wenn er zufrieden ist, bin ich es auch.

Ist es richtig, dass Sie Totti beigebracht haben, sein Talent wirklich zu nutzen?

Zeman: Ich weiß es nicht. Ich habe versucht, ihm zu helfen, sich bestmöglich einzubringen. Wenn du einen sehr guten Spieler hast, muss er lernen, dass es nicht darum geht, sein Können zu zeigen. Er muss seine Fähigkeiten in den Dienst der Mannschaft stellen. Das zweite Jahr bei mir hat er zwölf Tore geschossen, aber wichtiger war, dass er 20 Assists gemacht hat. Er hat für die Mannschaft gespielt.

Haben Sie ihm deswegen 1998 die Kapitänsschleife anvertraut? Damals war er gerade einmal 22 Jahre alt.

Zeman: Das war nicht meine Entscheidung, sondern die der Mannschaft. Eigentlich hat sie ja für den Brasilianer Aldair gestimmt, aber der war ein wirklich schüchterner Junge, deswegen hat der Spieler mit den zweitmeisten Stimmen die Schleife bekommen. Ich habe damals gehofft, dass sich die Mannschaft für Totti entscheiden würde, weil er immer ein vorbildlicher Spieler war.

Haben Sie Totti körperlich fit gemacht? Vor Ihrer ersten Amtszeit wurden ihm ja immer wieder körperliche Mängel vorgeworfen.

Zeman: Ich habe den Ruf, dass man bei mir viel körperlich arbeiten muss. Ich mache das, weil es den Sportlern guttut. Totti war immer zu allem bereit. Natürlich hat er sich auch beschwert, aber das machen alle Spieler. Nach einem Zehn-Kilometer-Lauf sagt jeder, dass er nicht mehr kann.

Sie haben die Roma im Vorjahr erneut übernommen. Wie hat sich Totti in der Zeit entwickelt?

Zeman: Er ist 13 Jahre älter geworden, sonst hat er sich nicht verändert. Der einzige Unterschied war der eine oder andere Nagel im Bein. Als ich gegangen bin, habe ich ihn gesund zurückgelassen.

Pablo Osvaldo hat unter Ihnen als Spitze gespielt, Totti auf der linken Seite. Haben Sie je überlegt, ihn als falschen Neuner einzusetzen? Er hat in den letzten Jahren immer gesagt, dass er diese Position am liebsten spielt.

Zeman: Mir hat er das nie gesagt, er hat mir nie widersprochen. Ich habe ihn auf der Seite positioniert, weil ich verhindern wollte, was ihm dann als Spitze wieder passiert ist – dass er ständig getreten wird. Im Zentrum musst du gegen die härteren Verteidiger spielen, es besteht also auch ein größeres Verletzungsrisiko. Das war mein Grundgedanke, meine Befürchtungen haben sich bei seiner Verletzung vor ein paar Wochen leider bewahrheitet.

Sie haben immer sehr stark auf die Jungen gesetzt. Glauben Sie, dass es fair wäre, einen 37-Jährigen auf Kosten eines jungen Spielers zur WM mitzunehmen?

Zeman: Ich glaube, man muss immer die Besten ins Nationalteam einberufen – dabei sollte man darauf schauen, wie alt sie sind. Man muss das im Fall Totti mitdenken. Dieses Jahr hat er aufgrund der Verletzungen wenig gespielt, aber wenn er spielt, macht er für Roma immer noch den entscheidenden Unterschied aus.

Kann er das auch bei einer WM?

Zeman: Ich weiß es nicht. In seinem Alter kommt es darauf an, wie es ihm körperlich geht. Einem 20-Jährigen geht es am Saisonende sicher besser. Aber man muss natürlich auch die technischen und taktischen Komponenten bedenken – und auf dem Gebiet ist Totti konkurrenzlos.

Gibt es unter den jungen Spielern von heute jemanden, der Sie ein bisschen an Totti erinnert?

Zeman: Es gibt nur einen Totti. Ich freue mich aber, dass Talente wie Lorenzo Insigne, Ciro Immobile, Marco Verratti und Alessandro Florenzi auch im Nationalteam eingesetzt werden. Sie brauchen solche Spiele, um sich zu entwickeln. Totti können sie aber nicht kopieren. Es gibt keinen Spieler, der seine Charakteristika besitzt.

Können Sie sich eine Roma ohne Totti vorstellen?

Zeman: Natürlich. Alle Epochen gehen vorbei, auch seine wird einmal enden. Ich hoffe nur, dass er mich zu seinem Abschiedsspiel einladen wird – wenn ich dann noch lebe.

Wird Totti Trainer werden?

Zeman: Derzeit sagt er, dass er das nicht will. Aber ich glaube, dass er seine Meinung ändern wird.

Würden Sie ihn als Co-Trainer nehmen?

Zeman: Nein. Wenn er Trainer werden will, muss er das alleine machen. Im Moment hat er seine Fußballschule für Kinder und denkt sicher auch noch gar nicht an die Möglichkeit. Ich weiß auch nicht, ob er wirklich ein Trainer werden kann. Er ist ein zu netter Junge. Der Trainerjob ist nichts für zu nette Jungs. (Interview: Matteo Patrono, Jakob Rosenberg)