Die Warnung ist angekommen. Nicht nur bei der Österreichischen Krebshilfe, auch bei niedergelassenen Gynäkologen laufen die Telefone heiß. Frauen, die zur Linderung ihrer Wechselbeschwerden eine Hormonersatztherapie erhalten sind verängstigt. Sterben sie an Brustkrebs?

Die von der Krebshilfe aufgrund einer im britischen Medizinjournal "The Lancet" publizierte Studie über den Zusammenhang von Hormonen und Brustkrebs losgetretene Diskussion über mögliche Gefahren dieser Behandlung entwickelt sich langsam zur Panikmache. Die überzogen ist, dafür aber eine pikante Diagnose zulässt: Hinter all dem steckt eine gesundheitspolitische Sparmaßnahme.

Von einer Million untersuchter Frauen zwischen 50 und 64 Jahren erkrankten laut Lancet nach dem Beobachtungszeitraum von 2,6 Jahren 9364 an Brustkrebs, 637 starben daran. Anders ausgedrückt: Die tatsächliche Erkrankungsrate lag bei 0,9 Prozent, die Sterberate bei 0,06 Prozent. Klingt schon weit weniger schockierend, oder?

Die Studie führt zwar an, dass die Hälfte aller Frauen Hormone nahmen, nicht jedoch, wie viele nur ein oder mehrere Präparate gleichzeitig. Auch wurden die tatsächlichen, die absoluten Zahlen nicht den einzelnen Gruppen zugeordnet - was einen Vergleich recht schwierig macht.

"Relatives Risiko"

Statt dessen weist die Studie ein "relatives Risiko" aus, die dramatischste Form, Zahlen zu präsentieren. Demnach hätten britische Frauen nach 2,6 Jahren Hormontherapie generell ein 1,66-fach höheres Brustkrebsrisiko als Frauen ohne Behandlung. Das ist Dramaturgie genug.

Dieses statistische Zahlenspiel lässt sich durch eine unlängst im "Journal of the American Medical Association" zum selben Thema publizierte Studie relativieren: Von 1000 Frauen ohne Hormontherapie erkrankten nach 5,2 Jahren 27 an Brustkrebs. Von 1000 Frauen mit Hormon-Kombibehandlung waren es 34. Ein 26 Prozent höheres Risiko? Relativ ja. Allein, das tatsächliche Risiko ist ein anderes: In der Hormongruppe erkrankten sechs Frauen mehr. Auf das Sample von 1000 Frauen bezogen ergibt sich also eine tatsächliche Risikosteigerung von lediglich 0,6 Prozent.

Übertragbarkeit

Ein weiterer Schwachpunkt: Die "Lancet"-Studie lässt sich nur schwer auf Österreich übertragen. In Großbritannien verordnen auch Krankenschwestern Hormone, regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind nicht obligat. In Österreich erfolgt die Erstverschreibung einer Hormonersatztherapie nur durch den Gynäkologen und nur nach vorhergehender und begleitender Mammografie. Und die durchschnittliche Hormonbehandlung dauert nur 1,2 Jahre - nicht 2,6.

Was die "Lancet"-Studie beweist: Das Brustkrebsrisiko mit Hormontherapie ist höher als ohne, dieses Risiko steigt mit der Dauer der Therapie. Fest steht aber auch, dass die Behandlung, verantwortungsvoll und kurzzeitig durchgeführt, Tausenden Frauen hilft. All das weiß man schon seit Jahrzehnten.

Warum dann aber plötzlich diese Hysterie, verbunden mit Empfehlungen zum Therapieabbruch? 753.371 Österreicherinnen sind heute im betroffenen Alter zwischen 50 und 64 Jahren. Etwa 20 Prozent von ihnen erhalten Hormonersatztherapie. 2,6 Millionen derartiger Verordnungen kosten die Krankenkassen jährlich 23,8 Millionen Euro. Bringt die Panikmache auch nur die Hälfte der Frauen dazu, die Therapie abzubrechen, spart sich das marode Gesundheitssystem einiges. Auf Kosten der Frauen.

(DER STANDARD, Print, 22.08.2003)