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Foto: REUTERS/Murat Cetinmuhurdar/Presidential Palace Press Office

Das hat sich der Landwirtschaftsingenieur Özbek wahrscheinlich anders vorgestellt. Zum ersten Mal Parlamentsabgeordneter und dann plötzlich die Schießbudenfigur, die auf Anordnung von oben hinausfliegt und Platz macht für den weit Wichtigeren: Abdullah Gül, den türkischen Staatspräsidenten. Der wiederum soll, wenn nicht gerade auf Anordnung von oben, dann doch im freundlich-verpflichtenden Miteinander, aus dem Amt fliegen und Platz machen für den weit Wichtigeren: Tayyip Erdogan, den türkischen Regierungschef.

Erdogan – darauf deutet nun doch mehr und mehr hin – will sich am 10. August in einer Direktwahl durch das Volk ins Präsidentenamt heben lassen. Und Abdullah Gül scheint derzeit auszuloten, welche politischen Möglichkeiten er als Premierminister neben/unter/über Erdogan hat. Für die Wahl zum Regierungschef im Parlament müsste Gül aber erst einmal ein Abgeordnetenmandat haben, und das kriegt er – richtig – von Bünyamin Özbek, Abgeordneter der kleinen nordosttürkischen Provinz Bayburt, welche den großen Vorteil hat, nur einen Mandatar nach Ankara zu entsenden.

Den Trick mit der Nachwahl haben sie schon 2003 hinbekommen. Damals ließ sich Erdogan ein Abgeordnetenmandat geben, weil es beim Wahlsieg seiner AKP im November 2002 zeitlich mit der Aufhebung des Politikbanns nicht hingehauen hat. Gül wärmte damals als Premier den Sessel für den Parteichef vor, von 11. März 2003 hieß der Regierungschef der Türkei dann Tayyip Erdogan.

Die "Bayburt-Formel" ist eine der Lösungen, über die nun bei der AKP und in den Medien nachgedacht wird. Es gibt auch die "Kayseri-Formel", die optisch etwas schöner aussieht, weil Abdullah Gül zumindest aus der Großstadt Kayseri stammt, aber die unter Umständen mehr Abgeordnete in Mitleidenschaft zieht. Und in Wahrheit gibt es zehn Formeln, so hat Parteisprecher Hüseyin Çelik großzügig erklärt: "Wenn der Staatspräsident Premierminister werden will, finden wir einen Weg." So viel rechtliche Flexibilität soll sein.

Zweimal haben sich die beiden Herren von der Staatsspitze an den runden Tisch im Präsidialamt gesetzt, einmal gleich nach Erdogans großen Sieg bei den Kommunalwahlen am 30. März, dann vergangene Woche wieder. Herausgekommen ist laut Beobachtung der türkischen Medien nichts, oder nichts Konkretes. Im Kreml, so mag man einwenden, ging das seinerzeit schneller zwischen Putin und Medwedew (2008) und Medwedew und Putin (2012). Aber in Ankara gibt es doch noch etwas Klärungsbedarf.

Cemil Çiçek, Präsident des Parlaments und zeitweise politischer Aufrührer, hat aufhorchen lassen. Es werde unweigerlich Streit geben, sagte Çiçek. Seine Formulierung war etwas vieldeutig für die Türken, aber kapiert hat man, was er sagen wollte: "Die Beziehung zwischen einem kompetenten/ermächtigten/maßgebenden (yetkili) und unverantwortlichen Staatspräsidenten und einem wirksamen/tonangebenden (etkili) Premierminister sind nicht gesund." Soll heißen: Erdogan hätte als Präsident, der erstmals direkt durch das Volk gewählt wird, besondere politische Legitimität, wäre aber in seinen Kompetenzen beschränkt durch die Verfassung – also ohne Verantwortung (sorumsuz); wogegen Gül als Regierungschef federführend die politischen Geschäfte erledigt.

Das könnte in der Tat nicht gut gehen. Erdogan hat bereits erklärt, ein Präsident könne laut Verfassung dem Ministerrat vorsitzen. Gül hingegen, der zuletzt Bedenken gegen Gesetze der Regierung angemeldet, dann aber immer brav unterschrieben hat, sprach von einem Premierminister, der "laufen und schwitzen muss", also eine aktive Rolle spielt, nicht die des Erdogan-Gehilfen. Im Lauf dieses Monats soll jedenfalls die Lösung stehen.

PS: Es gibt auch die "Gül-süz formülü", die Lösung ohne Abdullah Gül. Für den Fall, dass ihm die Sache mit der Sesselrückerei zu blöd ist. Oder Erdogan. (Markus Bey, derStandard.at, 13.4.2014)