Dany Boon in der Hauptrolle des Superhypochonders.

Foto: http://www.lunafilm.at/superhypochonder.html

Nein, es handelt sich nicht um eine Schusswaffe sondern um ein Fieberthermometer.

Foto: http://www.lunafilm.at/superhypochonder.html

Zuckt das Lid, schmerzt der Kopf, oder sticht es in der Herzgegend, nehmen Hypochonder das Schlimmste an: multiple Sklerose, Hirntumor, Herzinfarkt. Manche konsultieren täglich Dr. Google und laufen dann panisch zum Arzt. Die oft unbegründete, aber tief ausgeprägte Angst vor Krankheit und Tod haben schon viele Künstler auf die Schippe genommen. Allzu leicht lässt sich darüber lachen, wahrscheinlich weil diese Ängste in jedem von uns schlummern.

Nach Molière und Woody Allen hat sich nun Frankreichs Komikstar Dany Boon des Themas angenommen. Der Film "Super-Hypochonder" läuft in Österreichs Kinos. Boon spielt darin einen Hypochonder, der seinem Arzt mit konstant neuen Wehwehchen auf die Nerven geht. Der Doktor versucht, Boon mit allen Mitteln auf andere Gedanken zu bringen.

Schwierige Realität

"Fast ein Viertel aller Menschen leidet an hypochondrischen Ängsten", sagt Michael Rufer, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsspitals Zürich. Sie kommen in allen Schichten, bei Frauen wie Männern gleichermaßen vor. "Echte hypochondrische Störungen sind aber vergleichsweise selten", so Rufer.

Einer von hundert Menschen ist betroffen. Die Übergänge vom Wehleidigen zum psychisch schwer Erkrankten sind dabei fließend. So oder so aber ziehen die Ängste großes Leid nach sich. In einem Hypochondrieforum im Internet schreibt "Hasenfuß": "Früher dachte ich, ich hätte MS, weil ich Sensibilitätsstörungen hatte. Inzwischen hatte ich Hautkrebs, Brustkrebs, Eierstockkrebs, ALS, Polyneuropathie und seit einem halben Jahr Darmkrebs - mit al- len entsprechenden Symptomen. Wenn ich das so schreibe, muss ich selber schmunzeln, aber es ist die Hölle."

Und eine gewisse Ellen schreibt im selben Forum: "Da ich Atemnot, Schluckprobleme und Schmerzen hatte, war ich bei ei-ner Hals-Nasen-Ohren-Ärztin. Sie stellte nichts fest und schickte mich zum Internisten. Dieser stellte eine Panikattacke fest, beruhigte mich aber nicht, da diese Symptome auch Symptome einer Lungenembolie sein können. Hat ihn nicht interessiert. Also bin ich abends zum Notfalldienst, wo auch nichts festgestellt wurde. In der Nacht habe ich trotzdem nicht geschlafen, weil ich überzeugt war, eine Lungenembolie zu haben", schreibt sie.

Einbildung macht krank

"Hypochonder bewerten viele harmlose Körperempfindungen als Krankheitszeichen, was entsprechende Ängste auslöst, die die Symptome noch verschlimmern können", sagt Rufer. So wird aus Kurzatmigkeit bei körperlicher Anstrengung eine Herzschwäche, aus nervös bedingtem Durchfall Darmkrebs oder aus einem schnellen Herzschlag bei Aufregung ein drohender Herzinfarkt. "Die Symptome sind echt, aber sie werden fehlinterpretiert", so Rufer.

Entwarnungen von Medizinern helfen, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit. Typische Hypochonder gehen häufig zum Arzt. Erklärt dieser den Patienten für gesund, wird der nächste aufgesucht und so weiter. "In den vergangenen Wochen war ich bei allen Fachrichtungen, die es gibt, und das im wöchentlichen Wechsel - denn, wer garantiert mir denn, dass ich wirklich überreagiere?!", stellt ein Forumsmitglied die für Hypochonder so typische Frage.

Neu ist Cyberchondrie

Ob die Erkrankungshäufigkeit zunimmt, ist nicht bekannt. Aber das Internet bietet Hypochondern heute die ideale Spielwiese für ihre Ängste und hat gar einen neuen Begriff geprägt: Cyberchondrie. "Ich suche täglich im Internet nach Krankheiten, die ich haben könnte, suche die Symptome und schaue, ob ich irgendetwas davon an mir feststellen kann. Ich denke immer gleich an das Schlimmste, werde panisch und muss sofort zum Arzt", schreibt Ellen.

"Für Hypochonder ist das Internet eine Quelle maximaler Verunsicherung", sagt Maria Gropalis, Psychotherapeutin an der Universität Mainz, weswegen für alle hypochondrisch Veranlagten auch die Devise gilt "Hände weg vom Web!" gilt.

Eine einzige Ursache für die hypochondrische Störung gibt es nicht. Oft spielen negative Lebensereignisse wie Krankheiten in der Familie oder der Tod eines Nahestehenden eine Rolle. "Die Herausforderung bei der Hypochondrie ist es, Betroffene zu einer Therapie zu motivieren", sagt Rufer, "wenn das gelingt, sind die Behandlungschancen gut."

Experten empfehlen Verhaltenstherapien, bei denen die Patienten lernen, mit ihren Krankheitsbefürchtungen umzugehen und sich nicht zu sehr beeinträchtigen zu lassen. Ingvard Wilhelmsen kennt sich mit dieser Form von Behandlung aus. In Bergen leitet er eine der weltweit wenigen Kliniken für Hypochonder. "Hypochonder wollen letztlich den Tod kontrollieren", sagt Wilhelmsen, "sie müssen akzeptieren, dass sie sterblich sind. Dann können sie ihre Zeit mit Leben verbringen statt mit Nichtsterben."

Gelassenheit lernen

Viele seiner Patienten fürchten sich vor einem Herzinfarkt oder vor Krebs und "spezialisieren" sich auf diese Krankheit. Sie kontrollieren stündlich ihren Puls, lassen regelmäßig ein Elektrokardiogramm anfertigen oder gehen übertrieben oft zur Krebsvorsorge. Die meisten begründen ihre Bemühungen damit, "auf das Schlimmste vorbereitet sein zu wollen".

Wilhelmsen versucht seinen Patienten zu helfen, in dem er ihnen die Sinnlosigkeit ihres Verhaltens vor Augen führt: "Angenommen, Sie bekommen tatsächlich einen Herzinfarkt: Sagen Sie dann: Wie gut, dass ich mich schon seit fünf Jahren darauf vorbereite." Eine Katastrophe sei nun einmal immer eine Katastrophe, egal wie oft man sie sich vorher ausgemalt habe.

Generell tendieren Menschen mit Angststörungen dazu, Dinge kontrollieren zu wollen, die schlichtweg nicht kontrollierbar sind. Auf viele Dinge im Leben hat der Einzelne kaum Einfluss, "aber wie wir mit den Unabwägbarkeiten des Lebens umgehen", betont Wilhelmsen, "das haben wir sehr wohl in der Hand." (Juliette Irmer, DER STANDARD, 15.4.2014)