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Starker Mann an der Outlinie: Trainer Markus Weinzierl.

Foto: APA/Anspach

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Erfolgsgarant am Platz: Der im Sommer zu Borussia Mönchengladbach abwandernde André Hahn.

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Die deutsche Fußball-Bundesliga ist eine geschlossene Gesellschaft. Neulinge haben es traditionell schwer: In sechs der letzten zehn Saisonen stiegen jeweils mindestens die Hälfte der Aufsteiger gleich wieder ab. Die wiedereingeführte Relegation wirkt seit 2009 zusätzlich abschottend.

Im Zehnjahresvergleich fällt auf: Nur drei "neue" Vertreter haben sich in der höchsten Spielklasse etablieren können. Während das Mäzensprojekt Hoffenheim und der Klopp-Klub Mainz 05 durchaus bekannt sind, ist das Überraschungsteam der Stunde selbst in Deutschland für viele noch eine unbekannte Variable: der FC Augsburg.

Überraschungssieg gegen Bayern

Zuletzt schaffte es der Klub aus der "Fuggerstadt" in die Schlagzeilen, als die Mannschaft von Trainer Markus Weinzierl überraschend als erstes Team der Saison die scheinbar unbesiegbaren (und ersatzgeschwächten) Bayern mit 1:0 niederrang. Auch abseits dieses Prestigeerfolges hat Augsburg, derzeit auf Tabellenrang acht notierend, für Furore gesorgt.

Weinzierl hat aus jungen Talenten wie Kevin Vogt, ungeahnt fortentwickelten Mittelständlern wie Daniel Baier und Legionären wie dem Esten Ragnar Klavan ein Team geformt, das attraktiven Pressing-Fußball spielt. Mittelfeldspieler André Hahn (10 Tore, 7 Vorlagen) ist der Starspieler und zugleich die Symbolfigur des Augsburger Aufschwungs. In die vergangene Saison startete Hahn noch als Drittligaspieler, ehe FCA-Manager Stefan Reuter den 23-Jährigen in der Winterpause 2012/13 von Kickers Offenbach für rund 200.000 Euro nach Augsburg lotste.

Weinzierls Feuerprobe

Der Klub befand sich damals in der größten Krise seiner jungen Bundesliga-Geschichte. Nach dem Aufstieg 2011 hatte sich Augsburg unter Jos Luhukay 2012 überraschend den Klassenerhalt gesichert, ehe der Aufstiegstrainer den Klub im Streit verließ. Der unerfahrene, aber talentierte Nachfolger Markus Weinzierl durchlebte mit nur neun Punkten aus 17 Hinrundenspielen eine zumindest nominell desaströse Bundesliga-Premiere. Obwohl sein Team in keinem Spiel auseinanderbrach, rechneten in der Winterpause fast alle Beobachter mit der Entlassung des 39-Jährigen.

Doch Weinzierl blieb in Amt und Würden. Dank André Hahn, der sich sofort als Leistungsträger etablierte, sowie weiteren Winterneuzugängen gelang in der Rückrunde wider Erwarten noch die Wende; im Mai vollbrachte der Klub das Wunder und sicherte sich nach einer beeindruckenden Aufholjagd den Klassenerhalt. In der laufenden Saison hat sich der Augsburger Erfolgslauf fortgesetzt und den Klub in den Dunstkreis der Europa-League-Plätze geführt. Auffälligster Akteur war dabei der willens- und laufstarke Hahn, auf den mittlerweile sogar Bundestrainer Joachim Löw aufmerksam geworden ist.

Der Mann hinter dem Erfolg

In Augsburg werden da Erinnerungen an die Vergangenheit wach. Mit Helmut Haller und Bernd Schuster hat der Klub gleich zwei deutsche Teamspieler vergangener Tage ausgebildet, die zu ihrer aktiven Zeit in den 1960er- beziehungsweise 1980er-Jahren mindestens internationale Klasse verkörperten. Haller und Schuster kehrten Augsburg aber schon als junge Talente den Rücken. Der Aufstieg in die Bundesliga gelang dem Traditionsklub bis 2011 trotz aussichtsreicher Anläufe nie, auch wenn Haller als Altstar noch einmal zurückkehrte.

Dass heuer Spitzenfußall in der bayrischen Großstadt gespielt wird, verdanken die Augsburger vor allem einem Mann: FCA-Präsident Walther Seinsch. Der 73-Jährige ist der Gründer einer deutschen Textilkette und Multimillionär, vor allem aber ein "Fußballverrückter".

Evolution statt Revolution

Seinsch rettete den Klub im Jahr 2000 vor der Pleite und verwirklichte in den folgenden Jahren Schritt für Schritt seine Vision vom Bundesliga-Fußball in Augsburg: 2006 der Aufstieg in die zweite Bundesliga, 2009 die Fertigstellung einer 30.000 Zuschauer fassenden neuen Arena, 2011 der Aufstieg in die Bundesliga.

Anders als zum Beispiel die Hoffenheimer suchte Augsburg nicht im Hauruckverfahren und mit Millionentransfers den Weg in die Eliteklasse. Seinsch, der sich aufgrund einer Depressions-Erkrankung aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist kein klassischer Mäzen. Zwar hat er mit einer Investorengruppe den Stadionbau zu großen Teilen finanziert, doch der Verein zahlt eine branchenübliche Miete.

Aderlass droht

Nachdem der Unternehmer im Ruhestand in den ersten Jahren seines Engagements dem Vernehmen nach mehrere Millionen in den Verein pumpte, trägt sich der Klub wohl seit längerem selbst. Das verwundert nicht: Der Kader wurde stets im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten verstärkt, der Zuschauerschnitt (29.000) ist prächtig. Zuletzt wurde ein neues Nachwuchsleistungszentrum errichtet.

Der FC Augsburg hat sich rasend weiterentwickelt, ähnlich wie Shootingstar André Hahn, der binnen Jahresfrist vom Drittligaspieler zum deutschen Teamspieler (noch ohne Einsatz) mutierte. Doch der Erfolg weckt Begehrlichkeiten: Die Talente Matthias Ostrzolek und Kevin Vogt werden von größeren Vereinen umworben, Trainer Markus Weinzierl ist eine heiße Aktie auf dem Trainermarkt. Es wird spannend sein zu beobachten, wie Augsburg auf einen etwaigen Aderlass im Sommer reagiert. André Hahn ist dann schon weg: Die Symbolfigur wechselt zu Borussia Mönchengladbach. (Jörn Wenge, derStandard.at, 18.4.2014)