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Cas Mudde widerspricht der These, dass der Zulauf zu rechtsextremen Parteien, wie hier der ungarischen Jobbik, in wirtschaftlich schlechten Zeiten automatisch steigt.

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Die Zusammenarbeit zwischen Europas rechtsextremen Parteien gestaltet sich schwierig. Um im EU-Parlament tatsächlich eine eigene Fraktion stellen zu können, müssen sich Parteien aus sieben EU-Staaten daran beteiligen.

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Mölzers Rücktritt war nur eine Frage der Zeit, sagt Mudde. Nun sei der Weg für eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien eher frei.

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In Brüssel ist das große Zittern ausgebrochen. Die Wahlerfolge des Front National in Frankreich und von Jobbik in Ungarn bestärken die Furcht, dass es im Mai bei der EU-Wahl zu einem deutlichen Rechtsruck kommt und der EU-Sparpolitik der letzten Jahre ein klarer Denkzettel verpasst wird. Der niederländische Politologe Cas Mudde zweifelt an dieser Prognose. In wirtschaftlich pekären Zeiten würden Wähler kein Risiko eingehen wollen und deshalb etablierten Parteien den Vorzug geben.

derStandard.at: Sie argumentieren, dass die Furcht vor einem enormen Zuwachs der Rechtsparteien bei der EU-Wahl unbegründet ist. Warum?

Mudde: Es werden nur rechtsextreme Parteien dazugewinnen, die bisher schon stark unterwegs waren und deren Länder von der Wirtschaftskrise nicht sehr stark betroffen waren. Das sind etablierte Parteien wie die FPÖ oder der Front National. Es gibt keine neuen Parteien, die aufgrund der Wirtschaftskrise gegründet wurden und erfolgreich wären.

Die Vorstellung, dass die Wirtschaftskrise zu einem Erstarken der extremen Rechten in Europa führt, wäre nur dann bestätigt, wenn dieser Zuwachs mehr als ein paar magere Prozent ausmachen würde. Es gibt allerdings keinen signifikanten Anstieg bei den nationalen Wahlen in den vergangenen Jahren. Ungarns Jobbik ist die einzige Partei, die jetzt mehr Prozent der Stimmen hält als vor der Krise. Auch die FPÖ und der Front National waren davor schon ähnlich stark.

derStandard.at: Trotzdem wird immer gesagt, dass in unsicheren Zeiten der Zulauf zu rechtsextremen Parteien zunimmt.

Mudde: Dafür gibt es nicht viele empirische Beweise. Während einer Krise wollen die Wähler kein Risiko eingehen. Sie wollen, dass sich die Lage stabilisiert, glauben immer noch an das System, sind aber enttäuscht von den regierenden Parteien. Kurzfristig halten sie nach einer etablierten Alternative Ausschau, die die Situation stabilisiert. 

Wenn die Krise vorüber ist, werden Protestparteien in Europa – darunter auch die rechtsextremen Parteien – noch mehr Stimmen bekommen als jetzt, weil die Menschen fühlen, dass die Situation unter Kontrolle ist. Sie sind nicht mehr besorgt und werden eher eine Partei wählen, die eine Bestrafung für die regierenden Parteien sein soll oder sich soziokultureller Themen annimmt. Die Leute wählen die extreme Rechte nicht, weil sie die beste Wirtschaftspolitik hat, sondern wegen der ihrer Ansicht nach besten Immigrations-, Korruptions- und Identitätspolitik.

derStandard.at: Woher kommt dann diese weit verbreitete Meinung?

Mudde: Aus der Zeit der Weimarer Republik. Es hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass der Aufstieg Hitlers und des Faschismus generell eine Konsequenz des Börsenkrachs war. Bis vor kurzem wurde diese These niemals infrage gestellt. Es hat sich nun aber herausgestellt, dass fast keine faschistische Partei zu dieser Zeit dazugewonnen hat. Deutschland war die Ausnahme. Und Deutschland hatte eine Menge anderer Probleme.

Es gibt aber auch in der Gegenwart eine Ausnahme: Griechenland. Es ist das einzige Land, wo sich das ganze Parteiensystem erneuert hat und auch neue Parteien entstanden sind. Die Zweiparteiendemokratie aus der sozialdemokratischen PASOK und der liberal-konservativen Nea Demokratia ist komplett implodiert. Die Situation in Griechenland ist mit Spanien, Portugal oder Irland nicht vergleichbar, nicht nur weil die Wirtschaftskrise stärker zugeschlagen hat, sondern weil der Status der Demokratie sehr schwach ist. Damit lässt sich auch der Erfolg der Morgenröte erklären.

derStandard.at: In Österreich musste FPÖ-Spitzenkadidat Andreas Mölzer aufgrund mehrerer rassistischer Aussagen vergangene Woche zurücktreten. Fügen sich die rechtsextremen Parteien in den meisten Fällen selbst den meisten Schaden zu?

Mudde: Nicht wirklich. Wir haben diesen mutmaßlich "großen" Skandal über Geert Wilders in den Niederlanden gehabt, als er gegen Marokkaner gehetzt hat. Es war ein großer Hype in den Medien. Aber wenn man sich die Umfragen nur ein paar Wochen später wieder ansieht, dann ist Wilders genauso gut unterwegs wie davor.

Der Rücktritt Mölzers war im Grunde programmiert. Ich glaube, dass Strache sehr froh war, ihn loszuwerden. Mölzer ist Teil einer anderen Generation, einer der letzten Deutschnationalen. Die FPÖ ist ohne ihn besser dran, nicht nur wegen der Wahlen, sondern auch wegen der Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Mölzer hat immer den europäischen Kontext der FPÖ dominiert, war aber nie auf Parteilinie.

derStandard.at: Wird es nach der Wahl eine Zusammenarbeit der extremen Rechten geben?

Mudde: Man sollte niemals Nie sagen, aber es wird sehr schwierig, eine Fraktion im EU-Parlament zu gründen. Es gibt sehr viele extrem rechte Parteien, die zum Beispiel nie mit der Dänischen Volkspartei zusammenarbeiten wollen würden, die aber eine der einflussreichsten Kräfte ist. Dann gibt es einen Graben zwischen dem Westen und dem Osten. Viele der rechtsextremen Parteien aus westlichen Staaten wollen nicht mit der ungarischen Jobbik oder der bulgarischen Attack zusammenarbeiten. 25 Sitze sind nicht das Problem, aber es müssen sieben verschiedene Länder beteiligt sein, um eine Fraktion bilden zu können. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es Parteiabgänger oder Unabhängige gibt, die sich beteiligen könnten und damit eine Fraktion ermöglichen. Das wird aber immer eine schwache Gruppe sein, weil die Einzelpersonen ein Veto in der Fraktion haben.

Langfristig gesehen wollen einige Parteien offensichtlich die Zusammenarbeit verstärken. In Wien wurde ja vor zwei Wochen die Young European Alliance for Hope von den Jungendorganisationen von FPÖ, Front National, Vlaams Belang und den Schwedendemokraten gegründet. Das Ziel dieser Bewegung ist, jetzt eine Verbindung zwischen den Jungen aufzubauen, damit sie, wenn sie dann in fünf bis zehn Jahren im Europäischen Parlament sitzen, schon eine gemeinsame Geschichte vorweisen können. Wenn die Mutterparteien das nicht torpedieren, könnte diese Initiative einen großen Unterschied machen.

derStandard.at: Wie viel Wählerpotenzial hat die extreme Rechte in Europa?

Mudde: Das kann man nicht genau sagen, weil es so viele Einflussfaktoren gibt. Einige der Parteien sind dort, wo ihr maximales Potenzial liegt. Das gilt zum Beispiel für den Front National oder die FPÖ.  Das Potential unterscheidet sich in den einzelnen Ländern  aber nicht stark voneinander. Es gibt in Portugal oder Deutschland genauso ein Wählerpotenzial, aber keine Parteien.

Generell gibt es keinen Trend zu rechtsextremen Parteien in Europa. Die Medien platzieren es auf Seite eins, wenn eine rechtsextreme Partei zulegt. Wenn sie verliert, bekommt sie die Seite 14. Eine bedrohliche Rechtspartei verkauft sich besser, als eine schwache Rechtspartei. Das Merkwürdige daran ist, dass es sich deshalb so gut verkauft,  weil die Leute Angst haben. Es gibt fast so etwas wie ein Verlangen danach, Angst zu haben. Ich spreche schon seit Jahrzehnten zu progressiven Gruppen, die eigentlich ein Interesse daran haben müssten, zu hören, dass die extreme Rechte in Wahrheit nicht so bedrohlich ist. Aber wie oft ich es auch sage und wie viele empirische Daten ich dazu zeige: niemand glaubt mir.

derStandard.at: Welches Abschneiden prognostizieren sie denn nun den rechtsextremen Parteien Europas? Werden sie gewinnen oder verlieren?

Mudde: Sie werden leicht gewinnen. Insgesamt werden sie wohl sechs Prozent der Sitze im EU-Parlament erhalten. Aber das hängt natürlich auch davon ab, wen man mitzählt. Ich zähle zum Beispiel die UK Independence Party nicht dazu.

Ich erwarte, dass sowohl die linken als auch rechten antieuropäischen Populisten, wie sie von der EU-Elite bezeichnet werden, nach der Wahl circa 15 Prozent der Sitze halten werden. Das bedeutet, dass die proeuropäischen Kräfte nach wie vor das tun können, was sie möchten. Der Diskurs nach den Wahlen wird sich allerdings wieder um den Aufstieg der Euroskeptiker und der extremen Rechten drehen. (Teresa Eder, derStandard.at, 15.4.2014)