Erinnerungspolitik nach Orbán'schem Geschmack: Pfeilkreuz und Sowjetstern am Haus des Terrors in der Budapester Andrássy- Straße. Drinnen wird die Horthy-Ära verklärt.

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Ljiljana Radonic analysiert Gedenken.

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Wien - Wenige Wochen vor dem EU-Beitritt Ungarns am 1. Mai 2004 wurde in Budapest ein weitgehend leeres Museum eröffnet, das seine Dauerausstellung erst zwei Jahre später erhalten sollte: das Holocaust-Memorial-Center. Die Botschaft an Europa, Ungarn habe damit als erstes postsozialistisches Land ein eigenes, wenn auch unfertiges Holocaustmuseum, war unüberhörbar, Kritik an der Umsetzung allerdings auch.

Die dezentrale Lage des Museums, von hohen Mauern umgeben und teilweise unterirdisch unter einer renovierten Synagoge angelegt, erinnerte viele an eine Ghettoisierung. Die vorschnelle Eröffnung in europapolitischem Zusammenhang ließ eine Pro-forma-Aktion befürchten. "Die Ausstellung 2006 ließ die Kritik aber verstummen, das Museum ist sehr gut geworden", sagt die Wiener Politikwissenschafterin Ljiljana Radonic. "Umso erstaunlicher, dass es im heutigen Ungarn steht."

Radonic untersucht im Rahmen ihres Habilitationsprojekts staatliche Gedenkmuseen in postsozialistischen Mitgliedsstaaten der EU, genauer: wie der Zweite Weltkrieg in Ländern repräsentiert wird, in denen ein post- bzw. antikommunistischer Diskurs vorherrscht. Im Fokus ihrer Arbeit stehen zehn Museen in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien.

Dabei kristallisierten sich schnell zwei höchst unterschiedliche Typen heraus: "Die eine Gruppe kapriziert sehr stark eine Anrufung Europas, in der gezeigt werden soll, dass man 'europäische Standards' im Umgang mit der Vergangenheit übernommen hat und einhält." Diesem Typus, der sich etwa an den Ausstellungen des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington orientiert, sei auch das Budapester Holocaustmuseum zuzuordnen. Die andere Gruppe betreibe auf den ersten Blick eine symbolische Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus, um dann eine stärkere Anerkennung des Leids durch die sowjetische Besatzung einzufordern.

Oft werde betont, dass man unter den Nationalsozialisten mehr nationale Freiheiten gehabt hätte als unter den Sowjets. "Diese Tendenz ist in den baltischen Staaten sehr stark", sagt Radonic, deren Arbeit mit einem APART-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert wird. So war etwa das litauische "Museum der Genozidopfer" in Vilnius bis 2011 ausschließlich den beiden sowjetischen Okkupationen gewidmet. Der Holocaust und die nazistische Besetzung Litauens blieben hingegen völlig ausgeklammert, obwohl das Haus, in dem sich das Museum befindet, vor dem KGB ein Gestapogefängnis beherbergt hatte.

Auch in Budapest gibt es ein Museum dieser zweiten Gruppe, das einen völligen Gegenpol zum eingangs erwähnten Holocaust-Memorial-Center bildet: das sogenannte Haus des Terrors, 2002 errichtet auf Betreiben des Premierministers Viktor Orbán. In dem Gebäude auf der berühmten Boulevardstraße Andrássy út befand sich einst das Hauptquartier der nationalsozialistischen Pfeilkreuzler, später der kommunistischen Geheimpolizei ÁVH. Die Konzeption der Gleichsetzung ist nicht zu übersehen: Sie prangt schon vom Dach des Gebäudes (siehe Foto).

Kontinuität des Bösen

In der Ausstellung selbst werde diese Gleichsetzung im Sinne einer "Kontinuität des Bösen" fortgesetzt, allerdings mit einer eindeutigen Gewichtung, sagt Radonic. Zweieinhalb Räumen zu den nationalsozialistischen Verbrechen stehen rund zwanzig zu den kommunistischen gegenüber. Das autoritäre Regierungssystem unter Miklós Horthy (1920 bis 1944) werde im Gegensatz dazu als fast schon demokratisch verklärt, dessen antisemitische Gesetzgebung und Annäherung an NS-Deutschland finde keine Erwähnung. Gravierende historische Fehler wie die Behauptung, die meisten ungarischen Juden seien erst nach der Machtübernahme der Pfeilkreuzler im Oktober 1944 deportiert worden, wirken kalkuliert. "Das Haus des Terrors ist exemplarisch für den revisionistischen nationalistischen Narrativ des heutigen Ungarns oder vielmehr der Fidesz-Regierung", sagt die Wissenschafterin.

Eine Tendenz, die sich künftig weiter verstärken dürfte: Nicht nur triumphierte Orbáns Fidesz-Partei gerade wieder bei den ungarischen Parlamentswahlen, auch die nächsten umstrittenen Gedenkmaßnahmen sind bereits gesetzt. Die ungarischen jüdischen Gemeinden beschlossen inzwischen, die staatlichen Gedenkfeiern des von Orbán ausgerufenen Holocaust-Gedenkjahres 2014 zu boykottieren.

Die staatliche Repräsentation des Zweiten Weltkriegs nach dem Fall der kommunistischen Regime verlaufe in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, erklärt Radonic. Oft entstehe dabei eine Konkurrenz zwischen einer "Europäisierung der Erinnerung", die stark nach außen vertreten werde, und nationaler Narrative, die sich wiederum an die eigene Bevölkerung richteten. Die Koexistenz dieser gegensätzlichen Ausrichtungen zeige sich nicht zuletzt am ungarischen Beispiel.

Im Fall von Rumänien und Bulgarien fällt hingegen etwas anderes auf: das vollständige Fehlen großer Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg. "In Bulgarien etwa gab es vor der Wende eine unglaubliche Anzahl von Museen, das war eines der wichtigsten Themen der nationalen Identitätsstiftung", sagt Radonic. Anfang der 1990er wurden sie zur Überarbeitung geschlossen - und nicht wieder eröffnet.

Die Politikwissenschafterin erklärt diese fehlende Auseinandersetzung damit, dass es in den beiden Ländern keine breiten Protestbewegungen gegen die sozialistischen Regime gegeben hatte. Starke Kontinuitäten in den Eliten hätten eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eher gebremst als in anderen Ländern.  (David Rennert, DER STANDARD, 16.4.2014)