Wien - Der Oberste Gerichtshof hat die Vergütungspraxis von Finanzvertrieben wie dem in der Finanzkrise arg in Verruf geratenen Strukturvertrieb Ex-AWD (heute Swiss Life Select) oder OVB gekippt. Das Geschäftsmodell dieser Finanzvertriebe besteht bekanntlich daraus, Vertragsabschlüsse zwischen Konsumenten und Unternehmen der Finanzwirtschaft zu vermitteln. Der Kunde zahlt kein Honorar für die Beratung an sich, sondern der Finanzvertrieb erhält Provisionen für jedes vermittelte Geschäft. Die Provisionen sind in der Prämie des vermittelten Produktes bereits enthalten. Viele dieser Strukturvertriebe nutzen vielfach Kontakte im privaten Umfeld oder am Arbeitsplatz.

Die für die Betriebe bisher üblichen und für Einsteiger wichtigen Vorauszahlungen sind mit dem aktuellen OGH-Urteil nicht mehr möglich, berichtet das Wirtschaftsblatt. Das könnte den Beruf unattraktiv machen. Bei Kunden-Stornos wiederum können die Firmen keine Provisionen mehr zurückfordern.

Laut OGH-Urteil (8ObA20/14w) entsteht der Provisionsanspruch eines Beraters nämlich schon dann, wenn der von ihm gewonnene Kunde bezahlt; bei länger laufenden Verträgen anteilig mit der Ratenzahlung, so die Zeitung. Bis dato war das aber in der Branche nicht üblich. Im Fall hatte der AWD den "Freiberuflern" keine Provisionen direkt bezahlt, sondern "Vorschüsse". Der Grund: Wenn ein Kunde storniert, wird vom Berater auch die erhaltene Provision (anteilig) zurückverlangt. Dies ist dem Höchstgericht zufolge unzulässig.

Durststrecke für Neulinge

Auch die Gepflogenheit vieler Vertriebe, das Stornorisiko auf den Berater abzuwälzen, dürfte nach Meinung von Rechtsexperten nun unzulässig sein. Im Handelsvertretergesetz gibt es zwar ein Schlupfloch, das es Vertrieben ermöglicht, bereits bezahlte Provisionen zurückzufordern. Die vom OGH festgeschriebenen Beweislastregeln sind aber laut Zeitungsbericht derart strikt, dass das künftig nicht mehr möglich sein wird. Das wiederum könnte zur Folge haben, dass künftig Zahlungen nicht mehr sofort fließen. Für Neulinge würde das bedeuten, dass sie sich nach dem Umstieg von einem fixen Job auf den "freien" Maklerberuf auf eine längere finanzielle Durststrecke einstellen müssen. Bisher haben Strukturvertriebe Neulinge mit Vorschüssen gelockt.

Die großen Vertriebe werden sich nun mit ihren Produktpartnern, etwa Versicherungskonzernen, neue Provisionsmodelle aushandeln müssen. Die Branche ist ohnehin seit Ausbruch der Krise im Umbruch. Tausende Anlegerklagen und öffentlich vorgebrachte Kritik wegen schlechter Aufklärung über Risiken und aggressiver Verkaufspolitik haben die "Keiler" in Verruf gebracht. Die Krise tat ihr übriges.

Die Zahl der Finanzberater, die meist auf Honorarbasis tätig waren, ist seit 2008 massiv geschrumpft. Der Wirtschaftskammer-Fachverband hatte damals noch 15.000 Mitglieder gezählt, heute sind es nur mehr 9.500. Das rührt wohl auch daher, dass Finanzberater seit 2011 eine Prüfung ablegen und sich regelmäßig weiterbilden müssen. Im Gefolge des AWD/Immofinanz-Skandals hatte der Gesetzgeber nämlich die sogenannten Finanzdienstleistungsassistenten abgeschafft. Diese durften theoretisch auch ohne jegliche Vorkenntnisse riskante Finanzprodukte verkaufen. Die Finanzvertriebe sind seither bemüht, sich ein seriöses Image zu verpassen. Swiss Life Select zum Beispiel ist jetzt kein klassischer Strukturvertrieb mehr und setzt bei der Beratung u. a. drauf, die Risikoneigung des Kunden genau zu erheben.

Provisionsmodell soll bleiben

Vom Provisionsmodell an sich will man sich aber in Österreich nicht verabschieden. Aus Sicht von Verbraucherschützern ist aber genau das problematisch, weil es die Berater, so gut ausgebildet sie sein mögen, dazu verführe, risikoscheuen Sparbuchsparern riskante Produkte anzudrehen - für diese kassieren die Makler nämlich viel höhere Provisionen als zum Beispiel für eine Autoversicherung. "Ich halte dieses System, in dem die Vermittler Provisionen von den Emittenten beziehen, für einen permanenten Interessenskonflikt", sagte Peter Kolba, Rechtschef des Vereins für Konsumenteninformation (VK), zur Austria Presseagentur. "Die teilweise sehr hohen Provisionen müssen einfach dazu verlocken, Verträge zu akquirieren, die bei richtiger Beratung nie geschlossen würden."

Eine auch von Kolba goutierte - und seit der Krise auch von anderen Experten aufgezeigte - Alternative wäre das Honorarberatungssystem, das zum Beispiel in Großbritannien üblich ist. Dort sind nämlich seit Ende 2012 Provisionen verboten; Kunden zahlen also, ähnlich wie bei einem Anwalt, eine Art Stundensatz für die Beratung an sich, egal, ob und was sie kaufen. Deutschland will die Honorarberatung im Sommer gesetzlich regulieren. Im Nachbarland zahlt derzeit noch kaum ein Kunde für eine solche Finanzberatung, in den USA dagegen beträgt der Anteil der Honorarberatung schon rund ein Fünftel.

Gegen das Honorarsystem wehren sich in Kontinentaleuropa nicht nur Strukturvertriebe, sondern auch Banken. Sie leben nämlich gut davon, dass freie Vertriebler ihre Produkte via Provisionen an den Mann und die Frau bringen. In Großbritannien führte das Verbot dazu, dass einige Großbanken keine Finanzberatung mehr für kleinere Vermögen mehr durchführen. Kritiker des Honorarsystems warnen gerne davor, dass Honorarberater nur reiche Kunden umgarnten und Kleinanleger de facto keine Möglichkeit mehr hätten, sich unabhängig beraten zu lassen. (APA/red, derStandard.at, 18.4.2014)