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Oscar Pistorius: Vom Sprintstar zum Mordangeklagten

Foto: AP Photo/Werner Beukes

Eine von Gewalt geprägte Gesellschaft in Südafrika lauschte mit Spannung den tagelangen Radio- und Fernsehberichten, die das persönliche Trauma ihres einstigen Helden Oscar Pistorius und seine monotone Zeugenaussagen aus dem Gericht in Pretoria live ausstrahlten. Menschen diskutieren bei jeder Gelegenheit, in Wartezimmern, Büros und bei Dinner-Veranstaltungen, die brennendste Frage: Wie lange bleibt er hinter Gitter? Kann er sich freikaufen?

Der Fall des Paralympics-Stars, der seine Freundin erschossen hat, ist von den Medien hochstilisiert worden. Eine weltweite Sensation menschlichen Versagens weckt Interesse und wird besonders von britischen und amerikanischen Boulevardblättern und Fernsehsendern ausgeschlachtet.

Ihr Gesicht blieb versteinert

In dem fünftätigen Kreuzverhör, das diese Woche beendet wurde, konnte Pistorius Staatsanwalt Gerrie Nel nicht überzeugt: Für den Ankläger steht nach Ende der Zeugenbefragung fest, dass der Sportler seine Freundin absichtlich getötet hat. Pistorius hat sich in Widersprüche verwickelt, bleibt aber bei seiner Version, er habe Reeva Steenkamp aus Versehen erschossen. Am 5. Mai wird die Verhandlung fortgesetzt.

Zu Beginn des Kreuzverhörs überraschte Pistorius June Steenkamp, die Mutter des getöteten 29-jährigen Models, mit einer Entschuldigung: "Ich wollte Reeva nur schützen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, seid ihr die Ersten, an die ich denke." Seine Stimme zitterte. Der 27-jährige Leichtathlet brach endlich sein Schweigen. Aber es hatte ein Jahr gedauert, bis er diese Worte an die Mutter im Gerichtssaal in Pretoria richtete. Ihr Gesicht blieb versteinert. Das einst bejubelte Sportidol erreichte mit der tränenreichen Geste nicht die erwünschte Wirkung.

Ist die Trauer echt?

Viele Menschen in Südafrika nehmen dem früheren "Golden Boy", der 2012 in London mit seinen Hightechprothesen auch als erster beidseitig beinamputierter Athlet bei Olympischen Sommerspielen angetreten war, die Trauer um den Tod seiner früheren Freundin nicht ab. Er habe Mitleid mit sich selbst, sagen viele. Sein Würgen und Weinen im Gerichtssaal, wenn Reevas zerschossener Kopf auf den Bildmonitoren gezeigt wird, sei einstudiert.

Pistorius hatte zugegeben, seine Freundin am Valentinstag 2013 durch die geschlossene Badezimmertür in seinem Haus erschossen zu haben. Er behauptet, er habe sie in der Nacht für einen Einbrecher gehalten. Vier Schüsse töteten das Model. Sein Staranwalt Barry Roux hatte bisher aggressiv versucht, Zeugen, die Hilferufe des Models hörten, unglaubwürdig erscheinen zu lassen.

Entsicherte Waffe

Staatsanwalt Nel "grillte" den Sportler in dieser Woche im Zeugenstand, bezeichnete ihn direkt als Lügner, wenn er sich nicht an Details aus der Nacht erinnern konnte. Geschicktes Taktieren des Anklägers - inszeniert, um Pistorius' Version der Tragödie zu widerlegen. Für die Staatsanwaltschaft steht fest: Pistorius war bereit zu schießen. Er hatte die Waffe entsichert. Die Anklage skizzierte das erschreckende Bild eines von Waffen besessenen, narzisstischen Psychopathen.

"Ihr Leben dreht sich nur um Sie", sagte der Staatsanwalt - während seine Verteidiger ihn als liebevollen, religiösen und respektvollen jungen Mann darzustellen versuchten. Beide Versionen zielen wohl an der Wahrheit vorbei und geben Südafrika und den Medien weiteren Anlass, Experte in diesem Gerichtsfall zu werden.

Die Oscar-Fans sind weniger lautstark zu hören. Allerdings hat ihm June Steenkamp vergeben. Sie will Antworten. Deshalb quält sie sich im Gericht, für ihre getötete Tochter, sagte sie. (Martina Schwikowski aus Johannesburg, DER STANDARD, 19.4.2014)