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Design versteckt sich in Kapstadt nicht in Museen und Galerien, sondern greift auf die ganze Stadt über und macht auch vor dem Strand nicht halt.

Foto: Ian Cumming/Design Pics/Corbis

Cameron Barnes bewohnt einen Elefantenfriedhof. Sagt er zumindest: "Also, ich meine eine Art Elefantenfriedhof von Dingen, die leider in die Hose gegangen sind." Doch gröbere Knochen oder gar Elfenbein hätte sich ohnehin keiner erwartet. Cameron Barnes ist Möbeldesigner. Ein Spezialist für solide Holztische und -bänke, die im Ikea-Verfahren von seinen Kunden zusammengeschraubt werden. Manche seiner Lieblingsentwürfe wackeln trotzdem.

Die Wohltat der Imperfektion - genau darum geht es an diesem Abend. Sie ist das Thema einer kleineren Veranstaltung, zu der sich die Besucher der Kapstädter Arbeitsraum-Gemeinschaft "Twenty Fifty" eingefunden haben. "FAILFaire" nennen die Veranstalter die Mini-Messe, bei der Design durchaus locker gesehen wird. Frei nach dem Motto: Der einzig echte Fehler wäre das Nichttun. Etwas später berichtet Heath Nash, ein Plastik-Upcycler aus der Nachbarschaft, über die verschlungenen Wege des Trial and Error, die ihm die schönsten "Milkhandleballs" eingebracht haben: aus abgetrennten Griffen diverser Plastikgefäße komponierte Kugelleuchten, die bereits die Vienna Design Week illuminierten, und Galerien in London, Mailand und Tokio sowieso.

Das "Twenty Fifty" liegt im ersten Geschoß des Truth Coffee Building an der Kapstädter Buitenkant Street und ist eine von vielen Institutionen, die zu Kapstadt als "Welthauptstadt des Designs" im Jahr 2014 beitragen. Es bietet neben Veranstaltungen zum Thema "Imperfektion" eine ziemlich perfekte Umgebung. Da wäre das unmittelbare Zauberwort "Coworking", das hier das Motiv des Teilens von Arbeitsräumlichkeiten aus rein ökonomischen Gründen mühelos hinter sich lässt. Der stolze Verweis von "Twenty Fifty"-Mitbegründer Gareth Pearson auf das darunterliegende "beste Café Kapstadts" schlägt in eine ähnliche Kerbe. Womit er nicht gänzlich unrecht hat. Viktorianischer Fantasy-Style und das nüchterne Timbre industrieller Materialien verschmelzen hier, im Herzen des neu bewirtschafteten Fringe District, zum Lieblingsplatz lokaler Bobos.

Dass die Möbel und das Interior-Konzept von einem der renommiertesten südafrikanischen Designer stammen, versteht sich da fast von selbst. Haldane Martins Straußenfeder-Leuchten und sein "Zulu Mama Chair" sind längst über Kapstadts Grenzen hinaus Kult: Letzterer ist ein Schalensessel, der traditionelle Zulu-Flechttechnik mit modernen Materialien verquickt und internationale Design-Galerien mit der Lebensrealität der Townships. Denn dort werden Martins "Zulu Mama Chairs" gefertigt, teilweise aus recyceltem Fabriksverschnitt, und tragen so zum Einkommen der Anrainer bei. Für das "Truth Coffee" hat Haldane einen ikonischen Tisch entworfen, der als der längste von ganz Design-Kapstadt gilt: ein über sieben Meter langes Kiefernungetüm mit einem Rahmen aus zusammengeschweißten Installationsrohren und mit drehbar herausklappbaren Stühlen. Fast möchte man das Möbel als Sinnbild für Kapstadts Design-DNA adaptieren: solide zusammengeschweißt, drehbar gelagert, schnörkellos schön. Irgendwie vermittelt Südafrikas Designszene ein warmes Gefühl.

Das Design der alten Dame

Spaziert man durch den gentrifizierten Woodstock-Distrikt, kann man gleich noch mehr davon genießen. Besonders dann, wenn man Violet George heißt. Eigentlich hat die betagte Farbige mit Design nur am Rande zu tun. Etwa dann, wenn Mrs. George einen öffentlichen Rastplatz benutzt, den es vor der sogenannten Violet-Kampagne nicht gab. Aber heute schon. Denn der südafrikanische Architekt Luc Petersen ließ, angeregt durch die Müdigkeit einer mittlerweile 90-jährigen Frau, kleine Klappbänke an die Wände der typischen Arbeiterhäuschen montieren.

Für ein Inviertel wie Woodstock, das in mancherlei Hinsicht als Reagenzglas für das spezifische Design-Experiment des neuen Südafrika gilt, sind solche kleine Verbesserungen ein wichtiger Schritt. Immerhin verfügt die Gegend über Modellcharakter: Samstags trifft man sich auf dem "Neighbourgoods Market" und bastelt in kleinen viktorianischen Terrassenhäusern oberhalb des Containerhafens am multikulturellen Projekt Cape Town. Lokale Galerien, die bunten Graffiti des nichtstaatlichen Community Arts Project, die ehemalige Industriehalle des "Woodstock Exchange" mit ihren Modemachern und Cafés kennt man im ganzen Land.

Genau solche Geschichten schweben momentan Alayne Reesberg vor. Die gebürtige Südafrikanerin arbeitete im letzten Berufsleben als Assistentin von Bill Gates. Nun ist sie CEO von Cape Town Design, dem Organisationskomitee, das für die heurige Design-Solo-Show ihrer Heimat verantwortlich ist.

Ein Prestigeobjekt

Vielleicht liegt es ja am Prestigeobjekt des Cape Town Stadium unterm Signal Hill, das die verbindende, nährende Form einer Kalebasse aufgreift. Aber spricht man mit Alayne über das Design-Jahr, so erlebt man dabei ein kleines Déjà-vu. Auch wenn das Weltinteresse an der Austragung der letzten Fußball-WM mit dem Titel einer World Design Capital nicht ganz vergleichbar ist - ähnlich klingen die daran geknüpften Erwartungshaltungen durchaus. "Zeigen, was wir können". "Eine einzigartige Chance für Südafrikas Design". Mit solchen Worten umreißt die Managerin ein komplexes Projekt. Man könnte es auch anders formulieren: Stellten Vorgängerkandidaten wie Helsinki eng beschriebene Blätter der globalen Design-Geschichte dar, so gilt Kapstadt diesbezüglich als unbekannte Größe.

Am wirtschaftlichen Potenzial mangelt es dabei allerdings kaum: Dank technologischer Kompetenz in den Bereichen Bio- und Kommunikationstechnologien gilt der Cluster Cape Town als Innovationshauptstadt Afrikas. Bei der größten Reise-Webseite TripAdvisor lag die Stadt bereits zweimal als beliebtestes Reiseziel vor Städten wie New York, Paris oder Sydney. Und Design-City ist man längst: Seit 1995 zieht die vom indischstämmigen Südafrikaner und lokalem Stil-Guru Ravi Naidoo aufgezogene "Design Indaba" das Interesse Kreativer an - der bunte Mix aus Expo, Festival und Kongress für Möbel, Musik oder Mode zählt mittlerweile zu den größten Design-Events der Welt.

Alayne taucht übrigens gern mit einem Einweckglas bei offiziellen Terminen auf. Vor 112 Jahren wurde dieses in Deutschland erfunden. In Südafrika verwandelte es sich in grünes Licht: Die solarbetriebene "Consol Solar Jar" konserviert statt Kompott nämlich die untertags gesammelte Kraft der afrikanischen Sonne und gibt sie nächtens als LED ab. Stimmungsvoller kann ein Design-Fest eigentlich nicht ausgeleuchtet sein. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 25.4.2014)