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Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger ist 54-jährig gestorben.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien - "Es wird ein Film über die Schönheit, über das Glück, jedenfalls ganz anders als alles, was ich bisher gemacht habe."

So beschrieb Michael Glawogger in einem Telefoninterview im Februar sein gegenwärtiges Projekt, den "Film ohne Namen". Er war gerade durch Marokko unterwegs, lachte, als er im Vorbeifahren einen Affen erblickte. Ein ganzes Jahr lang wollte er reisen, zuerst südlich durch Afrika, dann wieder gen Norden durch den amerikanischen Kontinent retour. Ein Film, der sich erst im Kopf entwickelt. Dokumentarismus ohne Buch, nahe am Ereignis, dem Zufall mitverpflichtet - dementsprechend schwer zu fördern.

Auf derStandard.at konnte man wöchentlich seine Tagebucheinträge lesen, pointierte, schön bemessene Geschichten von Begegnungen und Beobachtungen, die viel von seinem neugierigen Blick auf die Fremde erzählten - das letzte davon kam am Dienstag aus dem Lektorat. Am Mittwoch verbreitete sich zunächst über Twitter die Nachricht, dass Michael Glawogger in Liberia an Malaria gestorben sei. Ein Tod, so plötzlich, dass man es nicht wahrhaben mochte.

Wenn man ihm zuletzt zuhörte, beschlich einen das Gefühl, dass dieser so umtriebige Filmemacher auf einem Weg war, der noch ganz offen vor ihm lag: Weniger brachial gehe er nunmehr auf die Dinge zu, sagte er, "zärtelnder" würde die neue Arbeit. Eine Ehrfurcht gegenüber den Menschen und ihren so unterschiedlichen Lebensweisen schätzte er auch an William T. Vollmann, selbst Weltenfahrer. Ein Projekt über den US-Autor war lange angedacht.

In der österreichischen Filmlandschaft war Michael Glawogger der entdeckungslustigste Filmemacher. Kaum war ein Projekt fertig, brütete er schon über dem nächsten. Das Besondere an ihm war, dass er sich keiner Gattung, keiner Stilrichtung problemlos zuordnen ließ: In Komödien wie Nacktschnecken und Contact High feierte er den derben Witz, suchte er das surreale Moment im Leben instinktgetriebener Figuren. Kontraste wurden, besonders in Slumming, bewusst forciert, Überschreitungen gezielt gesucht - dies reizte ihn auch inszenatorisch mehr.

Irritierend und spektakulär

Spleenige Komödien, die das Regionale lustvoll verzerrten, waren das eine - breit angelegte Dokumentarfilme, mit denen Glawogger international reüssierte, das andere. Megacities und Workingman's Death, die auf vielen Festivals gezeigt wurden, sind alles, nur keine Themenfilme zur Globalisierung. Dafür irritieren diese Momentaufnahmen einer sich rasant wandelnden Welt zu sehr. Der spektakulären Qualität exotischer Orte wollten die Filme eine gültige Form verleihen. Die Ästhetisierung, mit der er Schwerarbeit in Workingman's Death festhielt, wurde auch kontrovers diskutiert. Er selbst sah sich mehr als "poetischer Realist".

Michael Glawogger wurde 1959 in Graz geboren, dort besuchte er auch das Akademische Gymnasium. Sein Handwerk hat er am San Francisco Art Institute und an der Wiener Filmakademie erlernt. Bevor er selbst Filme machte, stand er für Ulrich Seidl und Michael Sturminger hinter der Kamera. Christof Schertenleib, David Rühm und Wolfram Paulus haben seine Drehbücher verfilmt.

Mit Whores' Glory, seinem Triptychon über Prostitution, das von Thailand über Bangladesch bis nach Mexiko führt, gewann er 2011 auf dem Filmfestival von Venedig den Hauptpreis der Orrizonti-Reihe: ein Film, der seinen Protagonistinnen auf Augenhöhe begegnete; ein Film, der provozierte, weil er sich bewusst nicht auf moralisierende Blickmuster einließ.

Einen vergleichbar kleinen, aber äußerst assoziationsreichen Beitrag hatte er letztes Jahr für Wim Wenders' dokumentarisches Projekt Cathedrals of Cultures gedreht: ein Porträt der Nationalbibliothek in St. Petersburg in 3-D. In dem Film kann man den Filmemacher als Bücherwurm begegnen, zwischen Texte von russischen Lieblingsautoren hat er auch einen selbst geschriebenen eingeschmuggelt. Noch so eine Welt, in die Michael Glawogger mit Begeisterung hineinstürzte. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 24.4.2014)