Wien - Aus Sicht von Peter Rosenauer und seiner Verteidigerin Michaela Lehner geht es im Prozess gegen den 47-Jährigen um nichts Geringeres als die Verteidigung der Demokratie. "Ein Boykottaufruf kann nie eine gefährliche Drohung sein", erklärt Lehner in ihrem Eröffnungsplädoyer dem Richter Gerald Wagner.

So interpretiert die Juristin nämlich eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien aus dem Vorjahr, in der stand, es sei eine Nötigung, wenn Wirtschaftstreibende öffentlich kritisiert werden und ihnen deshalb Umsatzeinbußen drohen.

Das wirft Staatsanwältin Stefanie Schön nämlich Rosenauer unter anderem vor: Er soll die Firma Kleider Bauer genötigt haben, keine Pelzprodukte mehr zu verkaufen, indem er bei einer Aktion mit Fahrradschlössern die Tür einer Filiale versperrte.

Interpretationsfrage

Fairerweise muss man schreiben, dass man das OLG-Urteil auch anders interpretieren kann. Damals ging es nämlich konkret darum, dass einer Firma der Ruin angedroht wurde, indem man ständig Proteste veranstaltet - von einem generellen Demonstrationsverbot war keine Rede.

Der Angeklagte, Obmann der NGO "Resistance for Peace", schrieb jedenfalls im September 2013 dem Chef von Kleider Bauer eine Mail und einen Brief, in denen er ankündigte, im Advent die Eingänge der Filiale zuzumauern oder zu verketten. Was er am 17. Dezember in die Tat umsetzte.

Beziehungsweise wollte: Einen Eingang schaffte er, als er beim zweiten ans Werk ging, hinderten ihn Verkäuferinnen daran, im Zuge der Auseinandersetzung soll er zwei Frauen leicht verletzt haben - daher ist er auch wegen Körperverletzung angeklagt.

Verkäuferinnen als Furien

Auch diese Tat bestreitet der Angeklagte: "Wissen Sie, ich bin seit 20 Jahren ein Aktionsprofi", klärt Rosenauer Richter Wagner auf. "Ich bin da auch bei Greenpeace International geschult worden: Bei Aktionen ist man immer passiv." In Wahrheit sei er das Opfer: Die Mitarbeiterinnen seien aggressiv gewesen. "Die sind wie die Furien auf mich losgestürmt."

"Sie haben mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung. Ganz so friedlich sind Sie vielleicht doch nicht", wirft Wagner ein. "Das war nie bei Aktionen, sondern immer privat", verteidigt sich Rosenauer. Und überhaupt seien es Fehlurteile gewesen.

"Warum, glauben Sie, wollten die Verkäuferinnen nicht, dass Sie das Schloss anbringen? Könnte es sein, dass die nicht eingesperrt sein wollten?", interessiert Wagner. "Es gab ja Notausgänge", kontert der Angeklagte. Daher hätte er nicht gestört werden dürfen. "Warum meinen Sie, dass die Verkäuferin Sie nicht stören darf?" - "Weil ich das Schloss anbringen wollte."

"Abgekartetes Spiel"

Rosenauer ist fest davon überzeugt, die ganze Sache sei "ein abgekartetes Spiel" gewesen. Der Verfassungsschutz habe Kleider Bauer sicher vorgewarnt, ein Wochen später sichergestelltes Überwachungsvideo sei manipuliert worden, die Polizei habe lange nicht eingegriffen. Und ein Passant, der in den Tumult eingriff, sei in Wahrheit kein Professor für Religionsphilosophie in Manchester, sondern wohl ein Kriminalpolizist oder Security.

Auch im Prozess braust er gelegentlich auf und fühlt sich ungerecht behandelt. Sein Glück ist, dass Wagner ein eher abgeklärter Richter ist und er Rosenauer ruhig zur Ruhe mahnt.

Der Angeklagte beschreibt, er habe Angst gehabt, als die Verkäuferinnen eingegriffen haben. "Das waren keine Schießbudenfiguren. Die eine ist ein Jazz-Gitti-Typ gewesen", umschreibt er die Leibesfülle. Er sei bei der Aktion jedenfalls so schwer verletzt worden, dass er seit damals im Krankenstand ist.

Unscharfes Überwachungsvideo

Das vorgeführte Video trägt nicht sehr zur Wahrheitsfindung bei. Es ist in Fischaugenoptik von oben aufgenommen und unscharf. Zu sehen ist lediglich die Menschentraube, wer was gemacht hat, bleibt offen.

Also sollen die Zeugen weiterhelfen. Was sie nur zum Teil tun. Die Verkäuferinnen machen zum Teil ungenaue und sogar widersprüchliche Aussagen, oder sie haben den Anfang der Geschehnisse nicht mitverfolgt. Keine von ihnen ähnelt auch nur im Entferntesten Jazz Gitti.

Sehr klar dagegen der Passant, der derzeit an der Universität übrigens "einen Kurs über das Böse" hält. Er schildert, er habe Hilferufe gehört und sei so auf den Tumult aufmerksam geworden. Zunächst habe er Rosenauer noch verbal aufgefordert, die Frauen in Ruhe zu lassen, schließlich habe er ihn weggerissen. Gleichzeitig stellt er klar, dass der Angeklagte sicher niemanden gezielt geschlagen, sondern nur herumgefuchtelt habe.

Geschäftsführer ohne Angst

Wagner hat auch einen prominenten Zeugen geladen: Kleider-Bauer-Geschäftsführer Werner Graf. Er habe das Ankündigungsmail von Rosenauer damals zur Kenntnis, aber nicht wirklich ernst genommen. Gewarnt habe er niemanden in der betroffenen Filiale: Schließlich sei in der Botschaft weder ein konkreter Ort noch eine Zeit genannt gewesen. Der wirtschaftliche Schaden durch eine kurzfristige Türsperre sei jedenfalls geringfügig.

Da Wagner noch eine weitere Verkäuferin hören will, vertagt er auf Juni. In welche Richtung sich die Sache entwickeln könnte, stellt er aber bereits in den Raum. Er erörtert mit den Parteien, dass es auch möglich sei, Rosenauer nur wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen. Und die Nötigung habe sich möglicherweise nicht gegen die Firma gerichtet, sondern nur gegen die Verkäuferinnen. (Michael Möseneder, derStandard.at, 24.4.2014)