Speto hat zuletzt 17 Tage lang in Wien-Leopoldstadt gearbeitet. Im Schnitt zehn Stunden täglich. "Einen guten Teil davon bin ich auf der Leiter gestanden." Auf zehn Säulen nahe der U2-Station Krieau hat er brasilianische Mythen und Legenden dargestellt.

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Standard: Es ist erst zwei Monate her, dass Sie eingeladen wurden, zehn Säulen der Wiener U-Bahn zu besprayen. Wie schwierig war es, dafür eine Idee, ein Konzept zu entwickeln?

Speto: Das war gar nicht schwierig. Ich trage die Idee einer Hommage an die Brüder Villas-Bôas seit langem mit mir herum. Diese drei Brüder sind im vergangenen Jahrhundert für die indigene brasilianische Kultur eingetreten, zwei von ihnen waren zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert, das hat mich inspiriert. Außerdem hab auch ich zwei Brüder, und wir drei sind alle Künstler. 3 Brothers als Titel für dieses Werk hat also doppelt gut gepasst.

Standard: Wie lange haben Sie an den zehn Säulen gearbeitet?

Speto: Das waren 17 Tage mit durchschnittlich zehn Stunden. Einen guten Teil davon bin ich auf der Leiter gestanden.

Standard: Wissen Sie, warum Wien einen Brasilianer für diese Aufgabe geholt hat?

Speto: Schon möglich, dass das mit der Fußball-WM zu tun hat. Außerdem ist Graffiti in Brasilien sehr populär, einige der weltweit bekanntesten Graffiti-Künstler kommen aus Brasilien.

Standard: In Wien hat kürzlich ein Sprayer für Aufsehen gesorgt.

Speto: Ich weiß. Er heißt Puber, ich habe von ihm gehört. Er hat überall seinen Schriftzug hinterlassen und wurde verhaftet. Aber Kunst war das wohl nicht, was er geschaffen hat.

Standard: Sie sind nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

Speto: Begonnen habe ich mit 14 oder 15, damals gab es kaum Sprayer, und es gab keine Verbote. In São Paulo, wo ich herkomme, ist Graffiti sehr beliebt. Auch dort darf man nicht überall sprayen. Aber es gibt genügend Möglichkeiten, und ich hatte nie mit der Polizei zu tun.

Standard: Inwieweit sind Sie mit der Fußball-WM in Ihrer Heimat befasst?

Speto: Ich wurde vor drei Jahren von Coca-Cola verpflichtet, von einem der großen WM-Sponsoren, für den ich ein eigenes WM-Logo kreiert habe. Und ich wirke an der Herstellung eines riesigen Transparents für die Eröffnung mit. Das Transparent wird so groß sein wie ein Fußballfeld, und es wird aus Millionen kleinen Bildern bestehen. Ich mach das gemeinsam mit Tec, einem argentinischen Künstler, der wollte unzählige kleine argentinische Flaggen einstreuen, das konnte ich aber unterbinden. Die WM ist doch schließlich eine brasilianische Angelegenheit.

Standard: Die Proteste und Gewalttätigkeiten im Vorfeld vermitteln aber den Eindruck, dass sich viele Brasilianer gar nicht auf und über die WM freuen.

Speto: Brasilien hat viele Probleme. Und vielen Brasilianern kommt die WM wie ein Make-up vor, hinter dem die Probleme versteckt werden sollen. Die WM selbst, glaube ich, ist nicht das Problem. Die WM bietet nur eine Bühne, um auf die Probleme aufmerksam zu machen.

Standard: Auf welche Probleme?

Speto: Die Steuern in Brasilien sind sehr hoch. Und wer Steuern zahlt, der will, dass das Schulwesen funktioniert, der will, dass das Gesundheitswesen funktioniert. Aber vieles funktioniert leider gar nicht. Und dann werden Stadien für einige wenige Spiele gebaut, und diese Stadien braucht nachher niemand mehr. Das macht die Leute wütend. Es ist gut, wenn die Leute auf die Straße gehen und demonstrieren.

Standard: Ist die WM für Brasilien demgemäß nicht eher ein großes Risiko denn eine Chance?

Speto: Ab der Eröffnung geht es nur noch um Fußball. Natürlich wollen wir zeigen, dass Brasilien ein tolles Land ist. Aber Brasilien ist auch wie ein problematischer Teenager. Brasilien braucht Zeit, um reif, um erwachsen zu werden.

Standard: Sind Sie Fußballfan?

Speto: Gar nicht so sehr. Als Zuseher ist mir Boxen lieber. Ich selbst fahre Rad und betreibe Yoga. Ashtanga Yoga - überaus anstrengend.

Standard: Wer verliert das Finale?

Speto: Darauf weiß ich wirklich keine Antwort. Ich wünsche mir nur, dass das Finale nicht Brasilien gegen Argentinien heißt. Das wäre zu viel an Aufregung für den ganzen Kontinent. Und sollte Brasilien verlieren, wäre das eine Katastrophe. Dann brauchen Brasilianer in den nächsten hundert Jahren nicht daran denken, nach Argentinien zu reisen. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 26./27.04.2014)