Die Sibillinischen Berge sind in Sichtweite, und auch zum Meer ist es nicht weit - hier der Blick vom Dorf Amandola in die Provinz Fermo hinein. 

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Foto: kri

Contessa Cecilia spricht ruhig, fast monoton, ein wenig näselnd. Mit erhabener Gemächlichkeit schreitet sie durch den Palazzo Romani Adami, benannt nach ihrer adeligen Familie, die seit mehreren Generationen hier, im Zentrum der Stadt Fermo, residiert. Cecilia Romani Adami hat die Marken vor langer Zeit verlassen, in Mailand Ökonomie studiert und als Consulterin gearbeitet. Schließlich kehrte sie zurück, um wieder Contessa zu werden - und den Familienbesitz in ein Bed & Breakfast umzuwandeln. Die 50 Jahre sind ihr nicht anzusehen: "Die Leute werden hier älter als anderswo", meint sie. "Das muss an der speziellen Lage zwischen dem Meer und den Bergen liegen."

Tatsächlich ist die Provinz Fermo in der italienischen Region Marken speziell: Zwischen der Adria und den Sibillinischen Bergen sind es gerade einmal 60 Kilometer. Die Verbindung bildet ein Meer aus Hügeln, mit einem mittelalterlichen Dorf auf jedem Gupf - wie ein Spiegelbild der weiß überzuckerten Gipfel im Hintergrund. Dazwischen schneiden milchig-blaue Flüsse weite Täler in die Landschaft. Neben den unvermeidlichen Oliven und Weinreben gedeihen alte Apfelsorten, in den höhergelegenen Wäldern Trüffel und Pilze.

Auch wenn die Marken oft als abgespeckte Version der Toskana gesehen werden - hier scheint die Abgeschlossenheit der Burgen, aus denen die Dörfer hervorgingen, tatsächlich noch das Leben zu prägen. Viele der stilvoll renovierten Häuser in den Ortskernen stehen zum Verkauf, und außerhalb haben sich hässliche Neubausünden breitgemacht. Die ehemals florierende Tradition der Schuhfabrikanten, die in jedem Dorf auf ein anderes Schuhwerk spezialisiert waren, ist zum größten Teil der Krise zum Opfer gefallen.

Auf der touristischen Landkarte sind die Marken noch ein weißer Fleck. Kaum verirrt es Urlauber von den sonnenschirmbewaldeten Stränden in Porto San Giorgio ins Hinterland. Ob die liebevoll drapierten Schneewittchen-Szenerien samt einer Armee an Gartenzwergen, die in kaum einem Dorf fehlen, bei der Imagepflege helfen, ist fraglich. Ebenso, ob die Provinzhauptstadt Fermo wirklich sieben Berge von der Adria entfernt ist - es sind jedenfalls nur sieben Kilometer.

Von der Kathedrale des 37.000-Einwohner-Städtchens hat man einen 360-Grad-Blick, der bei guter Sicht angeblich bis nach Kroatien reicht. Spiralförmig winden sich schmale Gässchen zur Kirche hinauf, umringt von romanischen und mittelalterlichen Mauern und Palazzi. Wie wenig touristisch es im historischen Zentrum zugeht, zeigen die Standln am arkadenumrahmten Hauptplatz, die jeden Samstag asiatische Billigware für die Einheimischen anstatt traditioneller Produkte feilbieten.

Von Letzteren gibt es zumindest in den Küchen eine ganze Menge: Den Fischeintopf namens Brodetto Sangiorgese zum Beispiel, der aus Fisch und unansehnlichen Fangschreckenkrebsen (auch als "Ratten des Meeres" bekannt) besteht. Dazu wird Vino cotto gereicht, ein starker, picksüßer, fast dickflüssig eingekochter Traubenmost, den jeder, der etwas auf sich hält, selbst produziert. Deftig sind auch Calcone, mit Kakao oder Ricotta gefüllte herausgebackene Teigtaschen, und Olive all'Ascolana, mit Faschiertem gefüllte und panierte Oliven.

Verwunschenes Labyrinth

Dergleichen wird auch in der Nobelpension von Cecilia serviert. Sie selbst bewohnt mit ihrer Mutter Contessa Teresa einen Teil der Stadtvilla - samt einem Butler in fortgeschrittenem Alter, der einem Prinzessinnenbilderbuch entsprungen scheint. Kein Schild gibt einen Hinweis darauf, was sich hinter dem schweren Holztor verbirgt, einem von insgesamt neun unauffälligen Eingängen.

Es sei wie das Tor zu Alice' Wunderland, habe ein Gast einmal gesagt, erzählt Cecilia - und das trifft es ganz gut. Wie in einem Labyrinth führen unzählige Stiegenaufgänge zu verwinkelten Galerien, die wiederum in Salons voller Antiquitäten, Ölgemälde und Fresken münden. Dunkle Schächte, durch die einst Weinfässer und Mehlsäcke rollten, enden in alten Gewölben. Die Küche mit ihren Kupferkesseln und dem gusseisernen Ofen ist seit 200 Jahren unverändert. Und die Zimmer wurden im früheren Wirtschaftstrakt eingerichtet - man schläft wie ein Pferd in den restaurierten Ställen und Scheunen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, Album, 26.4.2014)