Die Theatergruppe in Aktion.

Foto: walktanztheater

Bludenz - Kaugummi in der Schule – verboten. Eis im Bus – aussteigen. Spielende Kinder im Garten – zu laut. Jede und jeder aus dem 22-köpfigen Ensemble steuert eigene Erfahrungen bei. Das Publikum in der alten Bludenzer Textilfabrik Burtscher, einem Abbruchhaus, ist zu Beginn des Stückes "Yasak" mit einer schier endlosen Liste von Verboten und Regeln konfrontiert. "Manchmal weiß ich nicht, wohin mit meinem Zorn", schreit einer der Protagonisten zu Beginn. Und genau darum geht es: um den Umgang mit Wut und Ohnmacht, um alltägliche Maßregelungen, um Verbote und Tabus.

Die Jugendlichen klagen an und relativieren: "So ist es halt. So sind sie halt." Sie, das sind die Erwachsenen, die Mächtigen, die oft sinnlose Regeln erstellen und die Diskussion darüber verweigern. Yasak heißt auf Türkisch Verbot. Ein Teil der Darstellenden hat türkische Wurzeln. "Türkisch ist die erste lebende Fremdsprache im Land", begründet Theaterleiter Brigitte Walk, die mit den Jugendlichen und dem Team von walktanztheater.com das Stück erarbeitet hat, die Wahl des Titels. Die Kids, sie haben sich im Jänner beim ersten Theaterworkshop kennengelernt, spielen von ihnen verfasste  Texte, ihre eigene Geschichte.

Eigene Geschichten erzählen

Medaur Sadrija, 15 Jahre alt, HAK-Schüler,  Kosovo-Albaner: "Alles haben wir selbst erlebt. Was uns bedrückt, lassen wir endlich einmal raus. Wir sagen, was uns ständig begleitet." Das ist der tägliche Rassismus in der Nachbarschaft, Gewalt unter Jugendlichen, gesellschaftliche Tabus, mit denen sie nichts anfangen können, vor allem aber Konflikte in der Familie.

Drei Familien, unterscheidbar durch grüne, blaue und gelbe Kleidung ihrer Mitglieder, sind die Protagonisten des Sprechtanzsingstückes. "Über  Konflikte  in der Familie habe ich von so vielen Freunden und Verwandten gehört, das hat mich immer sehr bedrückt", erzählt Medaur Sadrija.  Jetzt habe er mit der Thematik abgeschlossen, sagt der Schüler. Das Theaterspielen sieht er quasi als Therapie: "Jetzt hast du alles rausgelassen, jetzt beginnt ein neues Leben."

Andere Kulturen entdecken

Für die Gymnasiastin Theresa Wachter (15) war die interkulturelle Begegnung neben der Arbeit mit Theaterprofis die wesentliche Erfahrung: "Ich  bin mit unterschiedlichen Kulturen konfrontiert worden, ich habe gelernt, das unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Tabus haben." Was die junge Frau besonders beeindruckt: "Obwohl wir uns nicht gekannt haben, wurde sehr  viel Persönliches eingebracht, es war gleich viel Vertrauen da. Viele Geschichten sind  zum Vorschein gekommen, dass hätte man nicht erwartet. Beispielsweise über den Krieg auf dem Balkan."

Die interkulturelle Begegnung sei den Gymnasiasten am Anfang nicht so leicht gefallen, sagt Brigitte Walk. "Sie lernen zwar  theoretisch, dass man nicht minderheitenfeindlich sein darf, aber es gibt keine Praxis. Interkulturelle Kompetenz lernt man im Gymnasium nicht."

Umso positiver ist Walks Fazit nach viermonatiger Arbeit im Forschungslabor Theater: "Die Jugendlichen haben gelernt, keine Scheu vor den anderen, vor dem Fremden zu haben. Sie haben keine eingefahrenen Bilder mehr von Migrationskindern. Und: Es gibt interessante Sprachüberschreitungen, sie übernehmen die Sprache der anderen. Wer was nicht so gut kann, lernt von den anderen."(Jutta Berger, derStandard.at, 28.4.2014)