Viele Medikamente, viel Wirkung: Unerwünscht ist eine allegerische Reaktion auf Tabletten.

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Medikamente sollen helfen, doch manchmal bewirken sie genau das Gegenteil. Zu den Betroffenen zählen Patientinnen mit Multipler Sklerose (MS). Nach Cortisoninfusionen kann sich plötzlich ein juckender Ausschlag am Körper ausbreiten, dazu kann Atemnot kommen; aber auch Schmerzmittel können Ausschlag mit juckenden Blasen hervorrufen.

Wer auf ein Antibiotikum allergisch reagiert, bekommt Ausschlag, hohes Fieber und Herzrhythmusstörungen, im schlimmsten Fall funktionieren die Nieren nicht mehr. Dann kann nur mehr die Intensivstation helfen.

"Früher haben wir Medikamentenunverträglichkeit als Schicksal hingenommen", sagt Werner J. Pichler, Chef-Allergologe an der Uniklinik in Bern, "heute verstehen wir die zugrundeliegenden Mechanismen immer besser und können einigen Patienten Therapie anbieten."

Immunsystem spielt verrückt

Pichler forscht seit Jahrzehnten im Bereich Medikamentenunverträglichkeit und rief 2004 einen einschlägigen Kongress ins Leben, der kürzlich in Bern zum sechsten Mal stattfand. Pichlers Ziel: personalisierte Medikamentengabe. "In einigen Jahren werden wir hoffentlich routinemäßig Tests machen, ob ein Patient verschriebene Medikamente verträgt."

Bei sieben Prozent der Menschen reagiert das Immunsystem auf manche Arzneimittel so, als seien sie ein "Feind", den es bekämpfen muss. Die Allergie - oft durch Antibiotika ausgelöst - äußert sich Minuten bis Stunden nach einer Einnahme als Hautausschlag, als Schnupfen, Husten, Atemnot oder im Magen-Darm-Trakt mit Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfall. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem allergischen Schock mit Kreislaufzusammenbruch.

Sehr ähnlich sind die Beschwerden bei der sogenannten Pseudoallergie: Hier kommt es ebenfalls zur Freisetzung von Histamin. So etwas kann passieren nach der Gabe von Kontrastmitteln oder bei Schmerzmitteln wie Aspirin.

Diagnose ist schwierig

Bei anderen Medikamenten aktiviert der Körper bestimmte Immunzellen und schüttet andere Abwehrstoffe aus. "Die Symptome treten meist erst nach Tagen oder Wochen auf und ähneln denen anderer Krankheiten", sagt Werner Aberer, leitender Allergologe an der Med-Uni Graz. "Das macht die Diagnose schwierig." Von masernähnlichem Ausschlag über Schwellungen im Gesicht und Unwohlsein bis zu schweren Entzündungen von Haut und inneren Organen reichen die Symptome.

"Schwierig wird es, wenn Patienten mehrere Medikamente nehmen", sagt Aberer. "Mit Fragen, wann und wie die Beschwerden aufgetreten sind, komme ich oft weiter als mit den gängigen Tests." Viele Patienten meinen zu Unrecht, dass sie bestimmte Medikamente nicht vertragen, sagt Aberer. "Ein juckender Ausschlag kann auch durch Infekte, Stress oder Kälte verursacht werden", erklärt er.

Der größte Erfolg sei in den vergangenen Jahren die Einführung von Provokationstests gewesen, sagte Pascal Demoly, Allergologe an der Uniklinik in Montpellier, beim Kongress in Bern. Im Verdachtsfall werden Medikamente unter Notfallbereitschaft in einer Klinik verabreicht. "Wir können so auch testen, ob es alternative Medikamente gibt." Gibt es sie nicht, bietet sich eine Toleranzinduktion an.

Dabei verabreicht der Arzt das Medikament in winzigen Mengen und steigert allmählich die Dosis. "Dem Körper die Unverträglichkeit abgewöhnen können wir damit leider nicht", sagt Aberer, die Überempfindlichkeit kehre später wieder zurück.

Vorab-Check

Die Vision der "personalisierten" Medikamententherapie ist bei dem HIV-Medikament Abacavir allerdings schon Realität: Vor der Gabe wird getestet, ob das Eiweiß HLA-B*5701 auf den Blutzellen vorhanden ist. Sie weisen bestimmte Immunzellen, die T-Lymphozyten, auf fremde Stoffe hin. Das setzt eine Immunreaktion in Gang, was sich bei Abacavir mit Ausschlag und schweren Organschäden äußern kann. Jeder zweite mit HLA-B*5701 reagiert überempfindlich auf Abacavir und bekommt ein Alternativpräparat.

Auch bei dem Epilepsie-Medikament Carbamazepin, dem Antibiotikum Flucloxacillin und dem Gichtmittel Allopurinol haben Forscher verschiedene HLA-Eiweiße gefunden, die häufiger mit einer Unverträglichkeit einhergehen.

Routinetests gibt es aber noch nicht. "Es liegt nicht nur am HLA, sondern an den dadurch ausgelösten biochemischen Reaktionen." Er vermutet, dass das HLA zusammen mit dem Medikament die T-Lymphozyten so stimuliert, dass es zu einer Reaktion kommt. Andere Forscher meinen, es läge an früher durchgemachten Infekten. "Bis wir wirklich Medikamente personalisiert verschreiben können, wird es noch mindestens zehn Jahre dauern", sagt Pascal Demoly. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 29.4.2014)