
Fatima Al Qadiri (32) entwirft auf "Asiatisch" eine Zukunftsvision von Pop als heimatlosem Kunstprodukt.
Wien - China ist nicht nur der aktuelle Sehnsuchtsort darbender westlicher Industriezweige auf der Suche nach neuen Märkten. Autos müssen verkauft, Zigaretten geraucht - und hunderte Millionen kaufkräftiger Chinesen auf den Geschmack gebracht werden, ihrerseits den touristischen Weg nach Europa und Amerika zu suchen. Als exotisches Ziel auf der Suche nach dem unverständlichen wie faszinierenden "Anderen" dient China auch immer schon als Imaginationsfläche.
Auf ins große Unbekannte! Land und Leute checken. Wahnsinn. Überall Kultur, Kultur, Kultur. Diese fremde, fremde Kultur! Danach: Zügig Handel treiben, kolonialisieren. Dabei haben diese edlen Wilden sogar eine seit Jahrtausenden hochstehende, nein, höchststehende Kultur. Sie brachten uns als Motor für unser eigenes Fortkommen das Schießpeng-Pulver, die tollen Feuerwerke und pfiffiges, allerdings etwas gar gemüselastiges Essen. Und erst die Seide - und erst der Tee!
Schon im 19. Jahrhundert war es im Westen schick, zu Hause Chinaporzellan mit "chinesischen" Motiven herumstehen oder Chinoise-Gemälde im Kung-fu-Panda-Stil herumhängen zu haben. Das alles hatte mit dem vermeintlichen Ursprungsland ähnlich viel zu tun wie die meisten chinesischen Restaurants außerhalb Chinas mit chinesischer Küche. Es handelte sich um frühe popkulturelle Produkte bewusster kultureller Missverständnisse. Sie waren niemals authentisch. Sie wollten es gar nicht sein. Pop kann nun einmal nicht im Ursprung, sondern nur in der Haltungsnote Wahrhaftigkeit behaupten.
Abgesehen von rassistischen Implikationen, wie sie im deutschen Sprachraum zum Beispiel Michael Endes Buch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer aus den 1960er-Jahren auf einen Höhepunkt brachte, inklusive der Adaption durch die Augsburger Puppenkiste (" China-Hauptbahnhof, alles aussteigen, wir haben einen längeren Aufenthalt!"): China rächt sich nicht erst seit heute dadurch, dass "der Chinese" sich bald anschicken wird, hier bei uns den Laden zu übernehmen, weil der Westen sich expansionsmäßig ein wenig verhoben hat - und China noch nicht. Copyrights werden so wie einst im Westen nicht wirklich ernstgenommen. Eine Kopie ist ein Original ist eine gutgemachte Kopie.
Copy/Paste als letzte Heimat
Das bringt uns zum Album Asiatisch der kuwaitischen Musikerin und Künstlerin Fatima Al Qadiri, das dieser Tage beim Londoner Futuristenlabel Hyperdub erscheinen wird. Asiatisch führt dabei die Grenzen von Authentizität, Utopie, Originalität und Copy/Paste ad absurdum. Fatima Al Qadiri erweist sich auch biografisch als Zukunftsmodell einer Popkunst, die zwar jederzeit anzapfbare Quellen aus dem Internet kennt, aber sich mit dem Begriff Heimat nicht einmal noch schwertut. Es gibt ihn nicht mehr. Schlicht und einfach.
Die 32-jährige Fatima Al Qadiri wohnt in London und New York, wo sie derzeit am MoMa an einer interdisziplinären Gruppenarbeit mit dem Kollektiv Shanzhai Biennal werkt. Sie wurde im Senegal als Kind von Eltern geboren, die in der Sowjetunion studiert hatten. Sie wuchs in deren Heimat Kuwait zur Zeit des ersten Golfkriegs auf und hatte dank Auslandsstipendiaten in Sachen bildende Kunst in den letzten Jahren zwei Handvoll Wohnsitze. Und sie begann schon als Kind des MTV- und Cartoon-Network-Zeitalters Musik zu machen. Diese tobt mit quietschenden, schrillen Stimmeffekten zwischen Stilen wie HipHop, R'n' B, kühlen synthetischen, durchaus im Klassikbereich wildernden Soundtracks und allerlei verzerrten Muezzingesängen herum, als strebe sie die Weltmeisterschaft in Hyperaktivität an.
Nach dem selbsterlebten Culture Clash von Arabien mit dem Westen auf früheren Tonträgern unter dem Künstlernamen Ayshay wie Desert Strike oder WARN-U ist nun, oberschick deutsch Asiatisch betitelt, auf ihrem ersten Album "China" als "Idee" aus der Ferne an der Reihe - ein Land, in dem sie noch nie war, es aber bestens aus zweiter, dritter Hand über Film und Internet kennt.
Schwere Londoner Bassmusik trifft in Stücken wie Shanzhai oder Loading Beijing oder Dragon Tattoo oder Shanghai Freeway auf imaginäre Supermarktbeschallung in Shopping-Malls in Szechuan. Riesengroße Roboter stampfen durch Reisfelder und suchen Urzeitmonster. Klassische chinesische Melodiefetzen fordern David Bowies China Girl zum Tanz. Es klingt verstörend großartig wie großartig verstörend. China als digitale Utopie der Straßenszenen aus Blade Runner. Drei Chinesen mit dem Kontrabass als chinesische Oper für den Dancefloor, auf dem das Porzellan scheppert, bis es klirrend zerspringt, weil die tiefen Frequenzen den Boden wegziehen.
Das Hybrid als Original
Das Album spielt mit westlichen Vorstellungen von China ebenso wie eine Hyperkultur entworfen wird, die auf die Charts im Westen schielt. Am Ende trägt Hollywood den Sieg davon. Der letzte Kaiser wird der erste sein. "China" is coming home. Fatima Al Qadiri macht sich im Stereotyp sesshaft. Woher kulturelle Vorurteile kommen, wird obsolet. Dieses Hybrid behauptet von sich echter als jenes Original zu sein, das es ohnehin nie gegeben hat. Manchmal klingt das kalt, leer, erschreckend plakativ. Dann wieder abgefeimt und mit jeder Menge Raum für Dunkelheit ausgestattet. Ein einzigartiges Erlebnis. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 29.4.2014)